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ie sageBgeschichtlichen
Grandlagen der Ring-
dichtang Richard Wagners.
\ Von
Dr. Wolfgang Golther
Professor an der Rostocker Hochschule.
'• —'.i^'i » -*'•
Charlottenburg (-Berlin) 1902.
Verlag der »Allgetn. Musik-Zeitung^
(Paul Lehsten).
Alle Rechte, auch das der Uebersetzung, vorbehalten.
vi^V^
105877
Einleitung.
ie folgenden Betrachtungen Ober die
sagengeschichtiichen Grundlagen des
Ringes fassen in kürzesten Zügen die
Ergebnisse oft wiederholter Unter-
suchungen zusammen, zu denen meine
Vorlesungen über Nibelungensage und Nibelungen-
dichtung im Mittelalter und in der Neuzeit an der
Mfinchener und Rostocker Hochschule und Vorträge
über den Ring, dessen vollständige und nach dem
Bayreuther Vorbild durchaus stilgerechte Aufführungen
an der Rostocker Bühne 18Q8— 1902 ich mit zahlreichen
erläuternden Vorbemerkungen und Besprechungen be-
gleiten durfte, Veranlassung gaben. Der Aufforderung
des Herrn Herausgebers der »Allgemeinen Musik-
ZeitungCy meinem Tristanaufsatz (vgl. »A. M.-Ztg.<
Jahrg. 2Q No. 16) eine ähnliche Arbeit über den Ring
folgen zu lassen, komme ich hiermit nach, indem ich
die einzelnen den Ring des Nibelungen betreffenden
Untersuchungen, von denen nur wenig (vgl. z. B. »Bühne
und Welt« I 577 ff.) bisher gedruckt wurde, zu einem
Oesammtüberblick vereinige Ich gebe weder eine
Geschichte der Nibelungensage noch der neueren
Nibelungendichtung. Aber natüriich berührt sich meine
Schrift mit solchen Büchern wie H. von Wolzogens
Nibelungenmythus in Sage und Literatur 1876 oder
1
— 6 —
besonders mit E. Meincks sagenwissenschaftlichen
Grundlagen der Nibelungendichtung Richard Wagners
18Q2, um aus der Ffille der hierauf bezuglichen, frei-
lich nicht immer sehr kritischen und sachkundigen
Arbeiten nur zwei Beispiele zu nennen. Auch des
Dänen Ojellerup Buch über Richard Wagner in seinem
Hauptwerke »Der Ring des Nibelungen«, deutsch von
O, L. Jiriczek, Leipzig 1891 behandelt die Quellenfrage
einsichtsvoll und sachverständig. Meine Absicht ist,
in möglichster Kürze alles Wesentliche anzuführen,
was im Ring quellenmäßig belegt werden kann. So
weit der Wortlaut altnordischer Sagen und Lieder in
längeren Absätzen zu geben ist, folge ich den schönsten
Verdeutschungen, die wir haben, denen Uhlands und
der Brüder Orimm. Nicht aber die Quelle an und für
sich, sondern nur die Züge, die im Ring benutzt sind,
kommen hier in Betracht. Ein solcher Vergleich rückt
die dichterische Größe und Selbständigkeit
Richard Wagners in helles Licht. Es liegt mir ebenso
daran, zu zeigen, was Wagner nicht vorfand, sondern
neu hinzufügte. Und das ist eigentlich das meiste
und beste. Die gestaltende Wunderkraft des großen
Dichters tritt im Ring wahrhaft leuchtend hervor. Die
altgermanische Sage ist förmlich neu geboren worden
und erfuhr in dieser Erneuerung die höchste Ver-
klärung, die ihr je bisher zu Teil ward. Durch die im
Folgenden gegebenen Nachweise wird die jedem Sach-
kundigen ohnehin bekannte Thatsache von neuem vor-
geführt, dass Wagner niemals irgend welche bestimmte
mittelalterliche Vortage dramatisirte, wie etwa Uhland
1817 in seinem Entwurf eines Nibelungendramas oder
Hebbel in seinem für mein Gefühl ganz unglücklichen
dreiteiligen Trauerspiel das Nibelungenlied, noch auch
in roher äußerlicher Weise die gesammte nordische
und deutsche Ueberlieferung durch einander warf und
auf einander häufte, wie Jordan in seinem stillosen
Nibelungenepos, das ich ebenso vom rein poetischen
wie sagengeschichtlichen Standpunkt durchaus ver-
werfe. Richard Wagner beherrscht vielmehr den ge-
sammten Stoff in seiner ganzen Ausdehnung bis zur
Gegenwart, ja sogar die darüber umgehenden wissen-
schaftlichen Ansichten. Er zerlegt die Sage in ihre
Grundbestandteile und führt daraus einen neuen selbst-
ständigen Bau auf, worin Altes und Neues, Eigenes
und Ueberliefertes zu einer unlöslichen künstlerischen
Einheit verschmolz. Aus allen triebkräftigen Keimen,
die irgendwo in den Quellen angesetzt hatten, sproßten
im neuen Zusammenhang herrlichste Blüten. Dagegen
ist mit staunenswertem Scharfblick jeder störende tote
Zug erkannt und bei Seite, gelassen.
Heinrich von Stein schrieb einmal .{Bayreuther
Blätter 1889, S. 189): »In der Edda habe ich den
Spuren der Fabel -Fügung nachgeforscht mit immer
wachsendem Bewundern und Erstaunen. Es ist
schließlich einfach und geradezu, als ob der Ring eine
den Eddadichtern nicht mehr zugänglich gewesene
Urschrift sei, deren teilweises Verständniß man dem-
nach in ihren Liedern nur hie und da verspürte: so
sehr scheint im Drama alles zu seiner Ureinheit zurück-
geführt und neu geschaffen und belebt.« Ich empfinde
genau so wie H. von Stein, wenn ich die Werke
Wagners mit ihren Vorlagen vergleiche: im Drama
ein organisches Gebilde, in den Quellen versprengte
und verstreute Bruchstücke. Aber man hüte sich vor
1*
— 8 —
dem Irrtum, als ob Wagner wirklich eine verlorene
Sagenwelt, die hinter den Quellen lag, wieder ge-
wonnen hätte. Das kann nur die darum heiß bemühte
Wissenschaft. Der Künstler giebt uns eine völlig
neue und eigene Schöpfung, deren Wert und Größe
sich danach bemißt, ob sie hinter den Quellen zurück-
bleibt oder sie übertrifft.
Die Sage von Sigfrid und den Nibelungen zerfällt
in zwei Teile, einen märchenhaften, mythischen und
einen geschichtlichen. Den Inhalt der Sigfridsage,
die fränkischen Ursprungs ist, bilden die Taten des
jungen Helden, sein Verhältniß zu Brünhild und
Orimhild und sein Tod. Inhalt der Nibelungensage
ist »der Nibelunge Not«, d. h. der Untergang der
burgundischen Könige durch die Hunnen. Dieser ge-
schichtliche Teil gründet sich auf burgundische Lieder
und wurde mit der fränkischen Sigfridsage zu einer
Einheit verschmolzen, so daß er als ihre Fortsetzung
erscheint. Sigfrid ist der Sohn Sigmunds des Wei-
sungen, dem Wodan ein Siegschwert veriieh. Damit
tritt noch als Vorgeschichte eine dritte Sage, eben
die von Sigmund, zu den beiden eben angeführten
hinzu. Von den fränkischen und burgundischen Ur-
gesängen des V.— VI. Jahrhunderts ist nichts auf uns
gelangt Aber die Sage wanderte nach Norden und
Süden, knüpfte an die dort vorhandene heimische
Ueberlieferung an und tritt uns mannigfach umgebildet
in späteren Dichtungen entgegen. Wir besitzen nor-
wegische Sigfridlieder aus dem X.— XI. Jahrhundert,
süddeutsche Gedichte des XIII. Jahrhunderts und nord-
deutsche (westfälische) Lieder aus derselben Zeit.
Letztere sind aber nicht im Original, sondern nur nach
— 9 —
ihrem Inhalt bekannt in Gestalt der sogenannten
Thidrekssaga, die um 1250 ein norwegischer Verfasser
nach norddeutschen Liedern in norwegischer Prosa
aufzeichnete. Die Wissenschaft ist bemüht, aus den
beiden unabhängigen Hauptzweigen, dem nordischen
und deutschen, die gemeinsame Grundlage wieder-
herzustellen, also die burgundisch-fränkische Sage des
V.— VI. Jahrhunderts, wodurch auch die beiderseitigen
selbständigen Zusätze bestimmt werden. Die Auf-
gabe ist schwierig und noch lange nicht gelöst Früher
galten allgemein die norwegischen sogenannten Edda-
lieder als die Träger der altertümlichsten und echtesten
Ueberiieferung. Fast alles, worin sie die deutschen
Quellen übertrafen, wurde der Ursage zugerechnet
Selbständige nordische Neudichtung ward nur in
geringem Umfang angenommen. Jetzt bekehrt man
sich allmählich zur entgegengesetzten Ansicht Im
Norden spielt die Götterwelt herein, Odin und die
Walküren. Die Sigmundsage wurzelt völlig im Odins-
glauben. Die Sigfridsage hebt sich namentlich durch
die Walküre Brynhild auf demselben Hintergrunde ab.
In Deutschland findet sich von alledem keine Spur,
nicht weil diese Züge erioschen, sondern weil sie
überhaupt nicht vorhanden waren. Die fränkische
Sage scheint also im Norden einer tiefgreifenden Um-
bildung dadurch unterzogen worden zu sein, daß sie
sich wie die heimische nordische Heldensage über-
haupt an den Odinglauben anlehnte. Götter- und
Heldengeschick verflochten sich mit einander.
Der heutige Dichter muß zu dieser ganzen um-
fangreichen Ueberiieferung Stellung nehmen. Weder
Kompilation noch sklavischer Anschluß an eine be-
— 10 —
sondere Vorlage ffihrt zum Ziel, nur geniale Intuition,
Erfassen einer leitenden Idee, Herausheben aller trieb-
kräftigen, poetisch wirkungsvollen Motive, die zu dieser
Idee und unter einander in bedeutende, oft neue und
vertiefte Beziehungen treten müssen. Vor dem Dichter-
auge zerlegt sich die Ueberlieferung In ihre Bestand-
teile, um von Orund aus neu aufgebaut zu werden.
Nur so wird der schöpferische Oeist volle Freiheit
sich wahren, treusten Anschluß an 's Wesentliche der
Ueberlieferung mit eigenster Erfindung vereinigen.
Und so erfaßte Richard Wagner die alte Sage.
Seine Absicht war, nur den mythischen Teil, die
Sigfridsage zu behandeln. Der geschichtliche Teil,
die Sage vom Untergang der burgundischen Könige
durch Etzel, blieb außer Ansatz. Damit trat Brunhild
hervor, Kriemhild- Gudrun aber zurück. Schon Uhland
(Schriften 1, 334) bemerkt: »Soll die Fabel irgend Ein-
heit und Mittelpunkt haben, so muß notwendig das
eine von den beiden Verhältnissen vorherrschend sein;
so lange aber Brunhild mit ihrer mythischen Herriich-
keit umkleidet ist, kann ihr der Vorrang nicht streitig
bleiben.« Ebenso verfuhr Ibsen in seiner »Nordischen
Heerfahrt« (1857), die meines Erachtens obwohl grundver-
schieden doch neben Wagner als die einzige lebendige
und poetische Neugestaltung der Sigfridsage zu rühmen
ist. Aber alsbald laufen die Wege Wagners und Ibsens
weit auseinander. Ibsen entfernt das mythische Element
aus der Sage, um sie uns menschlich nahe zu bringen.
Seine Aenderungen sind aber nicht einschneidend genug,
um den Stoff der übematüriichen Züge völlig zu ent-
äußern. Das Mythische erscheint mehr nur im Lichte
nüchterner, verstandesmäßiger Auslegung und daher
11
verflacht. Die Hauptstärke der Dichtung Ibsens liegt
darin, daß er den aus Deutschland in den Norden
verpflanzten Stoff noch mehr der nordischen Um-
gebung anpaßte, als es die alten Skalden gewagt
hatten. Die Sigfridsage spielt ganz im Rahmen der
isländischen Familiensage des 10. Jahrhunderts, Sigurd
ward zum Wiking. Prächtig gelang die$e Verschmelzung,
und der Kenner bewundert immer von neuem das
Geschick Ibsens in der Nachahmung des alten Saga-
stiles. Wagner aber betonte gerade das mythische
Element, das in voller erhabener OröBe und Reinheit
aus dem Stoffe herausgearbeitet wird, und suchte die
Sage sammt ihren nordischen Zusätzen ins Gemein-
Germanische und somit auch ins Deutsche zurück-
zuführen. Das war zur Zeit, da Wagner dichtete,
1846—52, der durch Lachmann, die Brüder Grimm,
Wilhelm Müller u. a. begründete wissenschaftliche
Standpunkt. Zweifeilos sind die nordischen mythischen
Zusätze zur fränkischen Sage von großer dichterischer
Schönheit. Was den nordischen Skalden nicht ganz
glückte, die organische Verarbeitung der nordischen
Mythen mit dem fränkischen Stoffe, der Göttersage mit
der Heldensage, führte Wagner um so herrlicher durch.
Für den Ring kommen als Quellen in Betracht
das Nibelungenlied und das Lied vom hürnen Seyfrid,
letzteres herausgegeben in v. d. Hagens Heldenbuch
1825, übersetzt von Simrock im Deutschen Heldenbuch
Bd. II1 1844; die nordische Volsungasaga und Thidreks-
saga, übersetzt durch v. d. Hagen in den Nordischen
Heldenromanen, Breslau 1814 — 28. Von den Helden-
liedern der Edda gab es damals Verdeutschungen
V. d. Hagens 1814, der Brüder Grimm 1815, Ettmüllers
— 12 —
1837; EttmQllers mit einer sagengeschichtlichen Ein-
leitung versehene, in wunderlich altdeutscher Sprach-
form verfaßte Uebertragung lag Wagner vor. Simrocks
Edda erschien erei 1851. FQr mythologische Dinge
benutzte Wagner J. Grimms Deutsche Mythologie,
deren zweite Auflage 1844 erschien. Simrocks Mytho-
logie kam erst 1853 heraus, Qbte also keinen Einfluß
mehr auf die Ringdichtung. Von neueren Nibelungen-
gedichten kannte Wagner Fouqu6s Sigurd 1808, Uhlands
Lied von Siegfrieds Schwert 1812 und Simrocks Wieland
1835. Noch in Dresden 1848 führte Wagner den
Nibelungenmythus als Entwurf zu einem Drama und
Siegfrieds Tod aus (vgl. den zweiten Band der ge-
sammelten Schriften). In Zürich 1851—52 entstand
die vollständige Ringdichtung. Das Siegfriedsdrama
ward zum Wotansdrama, Motive der nordischen
Göttersage, die 1848 noch fehlen, traten in den
Vordergrund. Wagner beschäftigte sich offenbar in
Zürich sehr eingehend mit nordischer Mythologie,
während in Dresden seine Aufmerksamkeit vorwiegend
der Heldensage galt. Simrocks Edda bot ihm aufs
bequemste die Göttersagen, die im Rheingold und in
den Wotanszenen vorkommen. Die Form, die Wagner
den nordischen Eigennamen giebt, ist dieselbe wie die
Simrocks. Die nordischen Götter galten damals und
besonders Simrock als völlig gleich mit den deutschen.
Daher wurden womöglich die deutschen Namens-
formen, also Wotan, Froh, Donner, Alberich, Mime
für Odin, Frey, Thorr, Andwari, Regln- eingesetzt
Ein besonderer Vorzug Wagners vor allen andern
Dichtem, die altgermanische Sagen erneuten, ist seine
tadellos richtige Betonung der zweistämmigen Eigen-
— 13 —
natnen auf dem ersten Glied, also Walhall, Walküre,
Sfeglinde, Brfinnhilde u. s. w.
Zugleich erfreute sich Wagner sachkundigen philo-
logischen Beirats. Schon 1841 in Paris hatte ein
Philologe, Lehrs, ihm die wichtigsten Quellen zum
Tannhäuser gewiesen, weshalb Wagner von der damals
aufgestellten, wissenschaftlich unhaltbaren Annahme
KenntniB hatte, Tannhäuser sei derselbe wie Heinrich
von Ofterdingen. Ein philologischer Irrtum war von
größter Bedeutung für den Dichter, der Tannhäuser
und Ofterdingen auch wirklich zu einer unteilbaren,
einheitlichen Gestalt verschmolz. Am Züricher Gym-
nasium und an der Hochschule wirkte damals ein
seltsamer Kauz, Ludwig Ettmüller, hochgelahrt in
altgermanischen, insbesondere angelsächsichen und alt-
nordischen Dingen. Ettmüller war fürs Altgermanische
mit ganzer Seele begeistert und trug diese Liebe zum
Altdeutschen sogar in seinem Aeußeren zur Schau.
Er versuchte sich neben seinen teilweise verdienst-
lichen, wenn schon unkritischen gelehrten Arbeiten
auch im Dichten, hier aber mit entschiedenem Un-
glück. Er war viel zu schwerfällig und unpoetisch,
um seinen geliebten alten Quellen auch nur einigermaßen
Genießbares nachzudichten. In den Vorbemerkungen
zu den 15 Briefen Wagners (Rundschau XIII, 5, 261)
berichtet Frau Wille auch von Ettmüller, mit dem der
Meister anfangs über nordische Heldensagen sprach.
Höchst wahrscheinlich hat Ettmüller auch das Ver-
dienst, Wagner auf zwei wundervolle nordische Skalden-
lieder aufmerksam gemacht zu haben, die bei der
Todkündigung in der Walküre Verwendung fanden.
Daß der Meister von Ettmüller und überhaupt vom
— 14 —
ganzen »Teufelsvolk der Professoren« keinerlei An-
regung erfuhr, versteht sich von selber, aber zum ge-
legentlichen Erfragen von wertvollen Quellen mochte
Ettmüller wohl tauglich sein. Seltsam hat sich der
wunderliche Oreis später am Ring versündigt. Er
machte nämlich 1870 selber ein Drama in »fünf
Handlungen <r, Sigufrid, eine unfreiwillige Parodie auf
Siegfried und Götterdämmerung bezw. Siegfrieds Tod.
Mit unglaublicher Naivetät schreibt Ettmüller Szene für
Szene nach in einem schauderhaften Deutsch. Sein
dramatischer Vers ist originell: er nimmt den sechs-
füßigen Jambenvers (Trimeter) des antiken Dramas
und staffirt ihn mit Stabreimen aus. In dieser unmög-
lichen Redeweise nehmen sich die überaus zahlreichen
wörtlichen Plagiate aus dem Ring ebenso hübsch aus
wie beim unbewußten Philosophen E. v. Hartmann,
als er die Tristandichtung für sein eigenes Trauerspiel
ausplünderte. Natüriich »ergänzt« Ettmüllers Gelehr-
samkeit auch den Meister auf Schritt und Tritt mit
alleriei unnötigen Sachen, z. B. mit der unvermeidlichen
Zankszene zwischen Brunhild und Grimhild. Dieser
Sfgufrid ist aber nie gelesen oder aufgeführt worden.
Wenige wissen überhaupt von seinem Dasein.
Von der Quellenbenutzung Wagners dürfen wir
uns aber keine falsche Vorstellung machen. Es handelt
sich nicht wie beim Gelehrten um ein mühsames Zu-
sammentragen von Einzelheiten. Der Dichter nimmt
vielmehr wohl schon beim ersten Lesen bestimmte,
unauslöschliche Eindrücke in sich auf, die lange
schlummern können, bis sie plötzlich mit wundersamer
Leuchtkraft oft in ganz neuem Zusammenhang wieder
auftauchen, vom schöpferischen Genius gleichsam neu
— 15 -
geboren werden. So geschah es z. B. mit den Mädchen-
blumen des Alexanderlieds (herausgeg. mit Uebersetzung
von Weismann 1850), die im Parsifal auferstanden. So
erbat sich Wagner im November 1851 von Uhlig aus
Dresden nach Zürich v. d. Magens Wölsungasaga
(vgl. Wagners Briefe an Uhlig S. 118). Er schreibt
von der Dichtung der Walküre und wünscht aber-
malige Durchsicht. »Jene Wölsungasaga möchte ich
noch einmal haben; nicht um nach ihr zu bilden, (Du
wirst leicht finden, wie sich mein Gedicht zu dieser
Sage verhält), sondern um mich alles wieder genau
zu erinnern, was ich an einzelnen Zügen schon einmal
konzipirt hatte.« Als aber das Buch eintraf, konnte
Wagner bei rascher Durchsicht der Sage nur ersehen,
;»daB er sie allerdings gamicht mehr nötig gehabt
hätte«.
1844 forderte F. Th. Vischer in seinen kritischen
Gängen II ein musikalisches Nibelungendrama: »Es
muß mich alles trügen, oder es ist noch eine andre,
eine neue Tonwelt zurück, welche sich erst öffnen soll.
Die Musik soll noch ihren Schiller und Shakespeare
bekommen. Der Deutsche soll noch seine eigene
große Geschichte in mächtigen Tönen sich entgegen-
wogen hören. Wir wollen eine heimische, eine eigene,
eine nationale Welt von Empfindungstönen in der
Musik. Die Musik fordert einfache Motive, einfache
Handlung.« Hier ist also genau das verlangt, was
Wagner schuf. Aber sobald Vischer von diesen treff-
lichen allgemeinen Bemerkungen zu einem probeweisen
Entwurf des Nibelungenliedes als Oper übergeht, setzt
er sich zu seinen eignen Forderungen in grellen Wider-
spruch. Mit Recht nennt Chamberiain (Richard Wagner,
— 16 —
kleine Ausgabe 1901, S. 391) diesen Entwurf ein wunder-
liches Gemisch von richtiger Einsicht und künstlerischer
Unfähigkeit. Vischers ganze Persönlichkeit ist eben,
wie sein Verhältnis zu Goethes Faust beweist, ein
wunderiiches Gemisch von Scharfsinn und Beschränkt-
heit, von künstlerischem Anschauungsvermögen und
philisterhaft lächeriichem Gelehrtendünkel. So war er
natüriich auch unfähig, die Erscheinung Rieh. Wagners
zu begreifen und die Ringdichtung, die ja unter seinen
Augen in Zürich entstand, zu verstehen. Immerhin
war Vischers Zeugniß hier zu erwähnen, zum Beweis,
wie damals die besten Köpfe in lichten Augenblicken
von tiefster Sehnsucht nach dem deutschen Drama
erfüllt waren, das des Meisters dichterische Ge-
staltungskraft in ungeahnter Größe und Schönheit ver-
wirklichte.
Was das von Wagner geschaffene Drama in seiner
Ausdrucksform geschichtlich und künstlerisch bedeutet,
haben Nietzsche und Chamberiain am besten gesagt.
Die Größe Schillers und Beethovens vereinigt Wagner
zur Erfüllung dessen, was beiden als höchstes Kunst-
ziel vorschwebte. Wenn im Drama drei Dinge klar
gestellt werden müssen, das erregende Gemütsmotiv,
die Gebärde, das Wort, so bewältigt das gesprochene
Drama nur die zwei letzten und macht beim Wichtigsten,
beim Unaussprechlichen, Halt. Zweifellos ist aber das
Seelische, Innerliche, das Wesentliche im Drama. Und
gerade hier setzt Wagner, der Ton- und Wortdichter,
ein, er baut in grunddeutscher Weise von innen nach
außen im Besitze des eriösenden Ausdrucksmittels,
nach dem die größten Wortdichter beim Drama ver-
geblich rangen, der Musik, die in höchster und reinster
— 17 —
Vollendung die Seele der Handlung und der Handelnden
unmittelbar zu gestalten vermag. Nietzsche schreibt:
»Alle diese Wirkungen zwingen Den, dem ein solches
Drama vorgeführt wird, zu einem ganz neuen Verstehen
und Miterleben, gleich als ob seine Sinne auf ein Mal
vergeistigter und sein Geist versinnlichter geworden
wären, und als ob alles, was aus dem Menschen heraus
will und nach ErkenntniB dürstet, sich jetzt in einem
Jubel des Erkennens frei und selig befände.« Daß
dieses deutsche Drama zugleich als Trilogie mit einem
Vorspiel erschien, also so wie es die dramatische Kunst
nur einmal zur Zeit der blühenden griechischen Kultur
eriebte, daß es als Festspiel ein eignes Festspielhaus
veriangte, daß es überhaupt die Gesetze seiner dar-
stellerischen und bühnenmäßigen Verwirklichung ganz
in sich selbst trug, ist nur die notwendige Folge seiner
alles überragenden Größe und Ursprünglichkeit.
Hier nur noch ein Wort zur Sprache und Vers-
form des Ringes. Wagner hat mit sicherem Gefühl
den ursprünglich aus dem Romanischen stammenden
Endreimvers aufgegeben, da er in der melodisch-
rhythmischen Vertonung kaum bemerkbar wird und
mithin eine überflüssige, vielleicht sogar störende
Zierat im Text des aus der Musik heraus gestalteten
Dramas ist. Er schreibt hierzu: »Als ich den Siegfried
entwarf, fühlte ich die Unmöglichkeit, diese Dichtung
im modernen Verse auszuführen. Somit mußte ich
auf eine andre Sprachmelodie sinnen; und doch hatte
ich garnicht zu sinnen nötig, sondern nur mich zu
entscheiden, denn an der urmythischen Quelle, wo
ich den jugendlich schönen Siegfriedmenschen fand, traf
ich auch ganz von selbst auf den sinnlich vollendeten
— 18 —
Sprachausdruck, in dem einzig dieser Mensch sich
kundgeben konnte. Es war dies der, nach dem wirk-
lichen Sprachaccente zur natürlichsten und lebendigsten
Rhythmik sich fügende und zur unendlich mannich-
faltigsten Kundgebung jederzeit leicht sich befähigende,
stabgereimte Vers.« Ebenso wenig wie den End-
reimvers konnte er aber die epische Stabreimzeile der
altgermanischen Heldendichtung unverändert über-
nehmen, denn sie ist fürs Epos geschaffen und dessen
Bedürfnissen angepaßt. Damals wußte man auch noch
recht wenig von ihrem Bau. Ettmüllers Verse sind
noch sehr unvollkommen, Simrocks Edda dagegen
bedeutet einen entschiedenen Fortschritt im Bau neu-
deutscher Stabverse. Und diese beiden waren doch
Wagners nächste Vorbilder. Jordan, der sich später
so viel auf seine Kunst einbildet, macht fortgesetzt
die gröbsten Schnitzer, sein Stabvers hat mit dem
echten, altgermanischen Vorbild weniggemein. Wagner
erkannte, daß der Stabreim durchaus dem Wesen der
deutschen Sprachbetonung angemessen ist, die Haupt-
wörter und Begriffe kräftig hervorhebt und Rhythmus
und Melos im Satze bestimmt, mithin auch vorzüglich
geeignet ist, den Sprachgesang zu stützen. Vor allem
ist die freie Bewegung der unbetonten Silben, der
Senkungen, im altdeutschen Vers ungemein vorteilhaft,
indem dadurch Eintönigkeit ausgeschlossen bleibt und
die Dichtung den wechselreichen Rhythmus der natür-
lichen Rede vollauf wahrt. Schon ein. Blick in den
Druck der Textdichtung lehrt, daß Wagner nicht die
epische Langzeile, vielmehr die Kurzzeile zu Grunde
legt. Wagner schafft sich einen durchaus neuen
eigenartigen Vers, aber aus denselben Elementen, aus
19
denen sich die stabreimende Langzeile zusammensetzte.
Diese bindet zwei je zweihebige Kurzzeilen durch
Stäbe zur vierhebigen dadurch \t\ sich geschlossenen
Langzeile zusammen. In der Edda finden sich auch
dreihebige in sich selbst stabende Kurzzeilen neben
der Langzeile. Wagner wendet zweihebige und drei-
hebige Kurzzeilen, die sich schon im Druck deutlich
von einander abheben, in freier Reihenfolge an. Die
Stäbe läßt er ohne feste Regel von einer Kurzzeile
zur andern laufen. Sie erfüllen durchaus den Zweck
des altgermanischen Stabreims, den Hauptbegriff zu
betonen. Die rhythmische Gliederung ist genau die-
selbe, die Sievcrs in fünf Haupttypen für den alten
Stabvers nachwies; sie ergiebt sich aus der Folge von
Hebungen und Senkungen in der natürlichen Rede.
Im allgemeinen entspricht eine Hebung mit oder ohne
Senkungen einem sogen. Versfuß. Wir finden Versfüße
von einer, zwei und drei Silben. Die Zwei-' und Drei-
silbler können steigend oder fallend betont sein, auch
eine Nebenhebung tragen. Es ist besonders reizvoll
für den Kenner, zu beobachten, wie genau die Ge-
sangsmelodie aus diesem Sprachrhythmus und Melos
herauswächst. Die Kurzzeile paßt fürs Drama vorzüg-
lich, die epische Langzeile wäre unbrauchbar gewesen.
Es ist also ebenso einfältig, den Wagner'schen Vers
mit der stabreimenden Langzeile zu vergleichen und
aus der Verschiedenheit zu folgern, Wagners Verse
seien falsch, als wollte man den Ring mit dem
Nibelungenlied zusammen stellen und aus der Ver-
schiedenheit gegen das Drama Vorwürfe erheben.
Gerade in ihrer Eigenart beruht die Größe und Be-
deutung der Neudichtung.
— 20 —
»Wollt ihr nach Regeln messen,
was nicht nach eurer Regeln Lauf,
der eignen Spur vergessen,
sucht davon erst die Regeln auf!«
Was die stilistische und poetische Seite der Sprache
betrifft, so berufe ich mich für den philologischen
Einzelbeweis auf die schöne und gründliche Unter-
suchung von Hans V. Wolzogen über die Sprache in
Richard Wagners Dichtungen, Leipzig 1878, wozu
Meine k in seinem oben erwähnten Buche und in den
Bayreuther Blättern noch mancherlei Nachträge gab.
In der »Allgem. Musik -Zeitung« 1888, S. 283 ff. und
im Wagnerbuch S. 431 behandelte Chamberlain in
geistvoller Weise das eigenartige Zusammenwirken
von Wort und Ton. Schließlich kann ich nur Nietz-
sches Urteil über diese Sprache, die »sich aus einer
rhetorischen Breite in die Geschlossenheit und Kraft
einer Oefühlsrede zurückzog«, wiederholen: »Es geht
eine Lust am Deutschen durch Wagners Dichtung,
eine Herzlichkeit und Freimütigkeit im Verkehr mit
ihm, wie so etwas, außer bei Goethe, bei keinem
Deutschen sich nachfühlen läßt. Leiblichkeit des Aus^
drucks, verwegene Gedrängtheit, Gewalt und rhythmische
Vielartigkeit, ein merkwürdiger Reichtum an starken
und bedeutenden Wörtern, Vereinfachung der Satz-
gliederung, eine fast einzige Erfindsamkeit in der
Sprache des wogenden Gefühls und der Ahnung,
eine mitunter ganz rein sprudelnde Volkstümlichkeit
und Sprichwörtlichkeit — solche Eigenschaften würden
aufzuzählen sein, und doch wäre dann immer noch
die mächtigste und bewunderungswürdigste vergessen.
Wer hinter einander zwei solche Dichtungen wie Tristan
— 21 —
und die Meistersinger liest, wird in Hinsicht auf
die Wortsprache ein ähnh'ches Erstaunen und Zweifeln
empfinden, wie in Hinsicht auf die Musik: wie es
nämlich möglich war, über zwei Welten, so verschieden
an Form, Farbe, Fügung, als an Seele, schöpferisch zu
gebieten. Dies ist das Mächtigste an der Wagnerischen
Begabung, etwas, das — allein dem großen Meister
gelingen wird: für jedes Werk eine neue Sprache aus-
zuprägen und der neuen Inneriichkeit auch einen neuen
Leib, einen neuen Klang zu geben. Wo eine solche
allerseltenste Macht sich äußert, wird der Tadel immer
nur kleinlich und unfruchtbar bleiben, welcher sich auf
einzelnes Uebermütige und Absonderiiche, oder auf
die häufigeren Dunkelheiten des Ausdruckes und Um-
schleierungen des Gedankens bezieht.«
Das Rheingold.
I^ie Betrachtung des Rhdngolds be-
" ginne ich mit einem Vergleich des
ersten Entwurfs (1848) und der
L fertigen Dichtung, wdl daraus die
fortschreitende anschaulich plastische
Gestaltung des Stoffes und das Hervortreten eines
leitenden Gedankens, einer den Stoff beherrschenden
und bestimmenden Idee unmittelbar deutlich wird.
»Dem Schooße der Nacht und des Todes entkeimte
ein Geschlecht, welches in Nibelheim {Nebelheim), d. i. in
unterirdischen düstem Klüften und Höhlen wohnt: sie
helBen Nibelungen; in unsteter, rastloser Regsamkeit
durchwühlen sie die Erde; sie glühen, läutern und
schmieden die harten Metalle. Des klaren, edlen Rhein-
goldes bemächtigte sich Alberich, entführte es den
Tiefen der Wässer und schmiedete daraus mit großer,
listiger Kunst einen Ring, der ihm die oberste Gewalt
über sein ganzes Geschlecht, die Nibelungen, verschaffte:
so wurde er ihr Herr, zwang sie, für ihn fortan allein zu
arbeiten, und sammelte den unermeßlichen Nibelungen-
hort, dessen wichtigstes Kleinod derTamhelm war, durch
den jede Gestalt angenommen werden konnte, und
den zu schmieden Alberich seinen eignen Bruder Mime
gezwungen hatte. So ausgerüstet strebte Alberich nach
der Herrschaft über die Welt und alles in ihr Enthaltene.
— 26 "
Das Geschlecht der Riesen, der trotzigen, gewaltigen,
urgeschaffenen, wird in seinem wilden Behagen gestört:
ihre ungeheure Kraft, ihr schlichter Mutterwitz reicht
gegen Alberichs herrschsüchtige Verschlagenheit nicht
mehr aus: sie sehen mit Sorge die Nibelungen wunder-
bare Waffen schmieden, die in den Händen mensch-
licher Helden einst den Riesen den Untergang bereiten
sollen. — Diesen Zwiespalt benutzte das zur Allherr-
schaft erwachsende Geschlecht der Götter. Wotan
verträgt mit den Riesen, den Göttern die Burg zu
bauen, von der aus sie sicher die Welt zu ordnen
und zu beherrschen vermögen; nach vollendetem Bau
fordern die Riesen als Lohn den Nibelungenhort. Der
höchsten Klugheit der Götter gelingt es, Alberich zu
fangen; er muß ihnen sein Leben mit dem Horte lösen;
den einzigen Ring will er behalten: — die Götter, wohl
wissend, daß in ihm das Geheimniß der Macht Alberichs
beruhe, entreißen ihm auch den Ring: da verflucht
Alberich ihn; er soll das Verderben Aller sein, die ihn
besitzen. Wotan stellt den Hort den Riesen zu, den
Ring will er behalten, damit seine Allherrschaft zu
sichern: die Riesen ertrotzen ihn, und Wotan weicht
auf den Rat der drei Schicksalsfrauen (Nomen), die
ihn vor dem Untergange der Götter selbst warnen.«
Schon im Entwurf bringt Wagner den Untergang
der Götter mit dem Fluch des Zwerges in ursächlichen
Zusammenhang und deutet damit auf die spätere Ver-
knüpfung von Siegfrieds Tod und Götterdämmerung
als den letzten und schwersten Folgen des verhäng-
nißvollen Goldraubes hin. Die Quellen selber nehmen
die Götter vom Fluch aus. Die von Wagner ange-
nommene mythische Deutung der Nibelungen be-
— 27 —
gründete Lachmann 182Q in seiner Kritik der Sage
von den Nibelungen: »Beachten wir, daß in der
Mythologie des Nordens Niflheimr und Niflhel der
kalte Teil der Erde und die Wohnung der Verstorbenen
genannt wird, so wird man schweriich zweifeln: dies
Geschlecht der Nibelungen ist ein übermenschliches
aus dem kalten neblichten Totenreich, ihnen gehört
der Schatz und sie bekommen ihn zurück.«
Wagners eigene Erfindung ist die Rheingoldsage. |
Wohl weiß die alte Sage davon, daß der Nibelungen-
hort schließlich im Rhein versenkt wurde, und die
nordischen Skalden geben daher dem Gold dichterische
Namen wie Flamme der Flut, Strahl der Tiefe, Wogen-
glanz u. s. w. Aber nirgends steht in den Quellen
etwas davon, daß das Gold ursprünglich im Grunde
des Rheins ruhte und von Alberich der Tiefe entführt
wurde. Auch daß Alberich den Ring schmiedet, das i
Gold zum Zweck seiner Machtgier ausmünzt, steht
nirgends in den Quellen. Von Andwaris Ring heißt I
es nur, daß er den Hort zu mehren vermochte, nichts
vertäutet von der Herkunft des Ringes. Doch spricht
Lachmann davon, daß das Gold einst den dunkeln
Geistern, den Nibelungen, angehörte, aus der Tiefe
des Wassers heraufgeführt wurde und zu den dunkeln
Geistern in die Tiefe des Rheins zurückkehrte. Hier
mögen die Anregungen zu der neuen Sage liegen,
deren Schöpfer Wagner wurde, wenn er das Gold
zum Unheil aus dem Rhein auftauchen und zur Sühne
in den Rhein zurücksinken läßt.
Für die Rheintöchter ziehe ich die Worte aus
J.Grimms Mythologie S. 567 heran: »In unsrer Sprache
sind die meisten Flußnamen weiblich, es werden also
— 28 -
auch weibliche FluBgeister gewaltet haben. Niemals
ist in einheimischer Ueberlieferung von einem Dämon
des Rheins die Rede. In des Rheines SchooB liegen
Schätze und Oold.« Die Namen der Nixen: Woglinde,
Wellgunde, Floßhilde hat Wagner trefflich aus ihrer
Art gebildet Muster war ihm der für eine Nixe über-
lieferte Name Wächilt, d. i. Woghilde.
Im ersten Entwurf geht die Handlung nur zwischen
Oöttem, Riesen und Zwergen vor. Mahnend erheben
die Nornen ihre Stimme. Von einzelnen Gestalten
finden wir nur Wotan und Alberich. O^enstand des
Strebens ist der Hort mit dem Ring und Tamhelm,
der oberste Macht verbürgt. Auf den Ring wird der
Fluch gelegt. Die Vorgänge der Handlung haben sich
noch zu keinen festen Bühnenbildern verdichtet
1851 erfahren wir aus Briefen bereits einen großen
Fortschritt Wagner schreibt an Liszt: »Alberich kommt
aus der Erdtiefe zu den drei Töchtern des Rheines
herauf; er verfolgt diese mit widerlicher Liebes Werbung:
von der einen abgewiesen, wendet er sich an die andere;
alle verschmähen, scherzend und neckend, den Kobold.
Da beginnt das Rheingold zu erglänzen; es reizt
Alberich, er fragt, wozu es wohl gut sei? Die Mädchen
bedeuten, es diene ihnen zu Lust und Spiel; sein Glanz
erhelle mit seligem Geschimmer die Tiefe der Flut;
viele Wunder aber könne der mit ihm wirken, Macht
und Gewalt, Reichtum und Herrschaft durch das Gold
gewinnen, der es zu einem Ringe zu zwingen wisse:
nur aber, wer der Liebe entsage, verstünde das!
Damit nun aber keiner das Gold raube, seien sie als
Hüterinnen bestellt: wer ihnen nahe, begehre gewiß
nicht das Gold; wenigstens sähe auch Alberich nicht
— 29 —
danach aus, da er sich gar so verliebt gebahre. Sie
lachen ihn von neuem aus. Da wird der Nibelung
wütend: er schwört der Liebe ab, raubt das Oold und
entführt es in die Tiefe.« Femer an Uhlig: »Der Fang
Alberichs, die Zuteilung des Goldes an die zwei Riesen-
brüder, die schnelle Erfüllung von Alberichs Fluch an
diesen Beiden, von denen der eine sogleich den andern
erschlägt, bildet den Gegenstand dieses Vorspiels.«
Als ganz neues Motiv tritt jetzt die Liebesentsagung
hinzu, »das gestaltende Motiv bis zu Si^rieds Tod j
mit einer Fülle von Folgen«. Auf dem bleichen Metall
haftet der Fluch der Lieblosigkeit, Gold tötet die Liebe.
Mit dem Golde steigt die Machtgier ans Licht. Zugleich
haben wir die plastisch geschaute Szene vom Raub des
Rheingolds.
Nach Vollendung des Dramas (1854) schreibt
Wagner an Röckel: »Des näheren verdichtet sich
die unheilstiftende Macht, das eigentliche Gift der
Liebe in dem der Natur entwendeten und gemiß-
brauchten Golde, dem Nibelungenringe: nicht eher
ist der auf ihm haftende Fluch gelöst, als bis er der
Natur wiedergegeben, das Gold in den Rhein zurück-
versenkt ist. Auch dies lernt Wotan erst ganz am
Schlüsse, am Ziele seiner tragischen Laufbahn erkennen;
das, was Loge ihm im Anfang wiederholt und rührend
vorhielt, übersah der Machtgierige am meisten.«
Im vollendeten Drama folgt nun das zweite Bild:
die Märe vom Burgbau. Freia, Licht und Liebe, wird
von den Riesen verfangt und entführt. Hier treten
die Göttergestalten, Wotan und Fricka, Donner und
Froh und die beiden Riesen, Fasolt der gutmütige
und Fafner der bösartige, gegen einander auf, mit
— so-
wenig Strichen und doch ganz sagenecht, klar und
scharf gezeichnet; zwischen ihnen flammt und flackert
Loge. Zwei Gipfel hat die Szene: den Liebeszauber
bei Loges Erzählung von Weibes Wonne und Wert,
und den Goldeszauber, dessen unheimlicher Macht
selbst Wotan anheimfällt
Das dritte Bild, die Märe von Alberichs Fang, zeigt
uns Loges Neidspiel gegen Alberich, in Märchenformel
gekleidet. Wie der gestiefelte Kater den Zauberer, der
sich auf seinen Wunsch zuerst in einen Elefanten und
dann in eine Maus verwandelt, überiistet, so bewegt
Loge den Alberich zur Verwandlung in Riesenwurm
und Kröte. Man beachte die großartigen Gegensätze:
Wotans vornehm ruhige Zurückhaltung, Alberichs
furchtbar drohende Gier, wie er sich den Ringzauber
ausmalt, Loges Flammenspiel, das auch über diese
Träume von Macht hinflackert. Die läuternde Flamme
vermag ja Allem, der ganzen Welt ein Ziel zu setzen. In
Alberichs Antlitz bricht zeitweise wie aus nächtiger Tiefe
das Drohen der Vernichtung hervor, während auf den
Zügen Loges der heitere Spott eines sein Ziel mit Sicher-
heitverfolgenden überiegenen Verstandes sich kund giebt.
Im vierten Bild erschauen wir Alberichs Fluch
und seine Erfüllung an den Riesen, Freias Rückkauf.
Eine düstre, schwüle Schuldstimmung ist durch Erdas
Warnung in Wotans Seele gelegt. Der Gewitterzauber
löst die Spannung, aus der Klärung blitzt das Schwert
auf, das Sinnbild des Heldengedankens: Heldentum
gegen Goldesmacht! So mündet das Vorspiel ins
große dreiteilige Heldenspiel.
Die Handlung im »Rheingold« gewährt einen Blick
in Wagners Schaffen. Zwei in der »Edda« völlig
— 31 —
getrennte Sagen sind von Wagner zu einer Einheit
verschmolzen worden, die vom Hort und Ring des
Andwari und die vom Burgbau.
Die Sage vom Hort berichtet: »Die Oötter
Odin, Hönir und Loki kommen auf ihrer Wanderung
durch die Welt zu einem Wasserfalle, worin der Zwerg
Andwari in Gestalt eines Hechts sich Speise zu fangen
pflegt. Otr, Hreidmars Sohn, hat eben dort, als Fisch-
otter verwandelt, einen Lachs gefangen und verzehrt
ihn blinzelnd. Loki wirft Otr mit einem Steine tot,
und sie ziehen ihm den Balg ab. Abends suchen sie
Herberge bei Hreidmar und zeigen ihm den Fang.
Hreidmar und seine Söhne, Fafnir und Regln, greifen
die Oötter und legen ihnen auf, zur Buße für Otr
und für Lösung ihrer Häupter den Balg mit Oold zu
füllen und auch außen mit Oold zu bedecken. Die
Oötter senden Loki aus, das Oold herzuschaffen.
Loki fängt im Wasserfalle mit dem erborgten Netz
der Meergöttin Ran den Zwerg Andwari, und dieser
muß zur Lösung all sein Oold geben. Einen Ring
noch hält er zurück, aber auch den nimmt ihm
Loki. Da spricht der Zwerg einen Fluch über
das Oold aus, Verderben solle es jedem Besitzer
bringen. Die Oötter leisten nun die Buße, und als
noch ein Barthaar der Otter hervorragt, bedeckt es
Odin, als Hreidmar verlangt, auch dies solle verhüllt
werden, mit dem Ringe. Loki verkündet Hreidmar
und seinen Söhnen Verderben. Fafnir und Regin ver-
langen von Hreidmar Anteil an der Buße, er weigert
es; dafür durchbohrt Fafnir den schlafenden Vater mit
dem Schwerte, nimmt alles Oold und versagt Regin
jeden Anteil. Auf Onitaheide liegt er und hütet den
— 32 —
Hort in Oestalt eines Lindwurms, mit dem Schreckens-
helm bedeckt, vor dem alles Lebende zittert Regin
aber sinnt auf Rache.«
Wagner setzt im Rheingold fQr die nordischen
Namen die deutschen ein, also Wotan für Odin,
Alberich für Andwari, Mime für Regin. Loki heißt
mit andrem Namen auch Logi, d. i. Lohe, also die
persönlich gedachte Flamme.
Die Sage vom Burgbau erzählt: »Einst kam
ein Werkmeister zu den Oöttem und erbot sich, ihnen
in drei Halbjahren eine Burg zu bauen. Er verlangte
als Lohn Freyja zu erhalten, dazu Sonne und
Mond. Die Götter aber sprachen, er solle dieses
Lohnes verlustig sein, wenn am ersten Sommertage
irgend ein Teil der Burg nicht vollkommen fertig wäre;
auch dOrte ihm Niemand bei der Arbeit behülflich sein.
Er verlangte jedoch, daß ihm der Beistand seines Rosses
Swadilfari verstattet werde, und auf Lokis Vorschlag
wurde dies bewilligt. Er begann nun die Burg zu
bauen und fährte bei Nacht auf seinem Rosse Steine
herbei, so daß es den Oöttem ein Wunder schien,
welche Bergmassen er herbeischaffte. Das Roß that
doppelt so viel Arbeit wie der Werkmeister. Die
Burg ward stark und bereits so hoch, daß man kaum
hinaufsehen konnte, und drei Tage waren nur noch
übrig bis zu dem Zeitpunkte, an dem das Bauwerk
fertig sein sollte. Da gingen die Oötter zu Rat und
einer fragte den andern, wer den Rat erteilt habe,
Freyja nach Riesenheim zu verheiraten und die Luft
zu verderben, da der Himmel dunkel werden würde,
wenn Sonne und Mond fortgenommen und den Riesen
ausgeliefert wären. Sie wurden darüber einig, daß
— 33 —
Loki es gewesen sei, der dazu geraten habe, und sie
sagten ihm nun, er werde eines schlimmen Todes
sterben, wenn er nicht Rat dafür schaffe, daß dem
Werkmeister sein Lohn vorenthalten werde. Sie drangen
heftig auf ihn ein, und da er in Furcht, geriet, schwur
er einen Eid, daß er es dahin bringen wolle, daß der
Riese leer ausginge, es koste, was es wolle. Listig
machte er dem Baumeister sein hfilfreiches Roß ab-
spenstig und da stockte die Arbeit. Als der Werk-
meister sah, daß er den Bau zur gesetzten Frist
nimmer fertig stellen konnte, geriet er in Riesenzom,
und als die Götter das sahen, wurden die geschworenen
Eide nicht länger beachtet, sie riefen Thor an, der als-
bald erschien, den Hammer schwang und so den Lohn
fQr die Arbeit zahlte, daß er den Riesen tot schlug und
zur Hölle sandte.«
Endlich kommt noch die Sage in Betracht, wie
Loki Idun mit ihren goldenen Aepfeln an die
Riesen verhandelte, aber von den in ihrer Lebenskraft
bedrohten Oöttem gezwungen wird, sie wieder zurück
zu holen.
Alle diese Sagen haben gemeinsam den Grund-
gedanken, daß die Götter durch Lokis Schuld von
den Riesen geschädigt und aus dieser Veriegenheit
durch Lokis List wieder befreit werden. Wagners
Freia, die Pflegerin der Aepfel, vereinigt Freyja und
Idun: mit Recht, denn wir haben hier nur zwei ver-
schiedene Namen einer und derselben Göttin. In
Freia wird die Liebes- und Lebenskraft des Götter-
stammes persönlich. Wagner erkennt und benutzt
den Sinn der nordischen Mythen, daß die feindseligen
Riesen eben mit Freias Raub den Bestand der Götter-
— 34 —
weit gefährden. Loge, der freilich Ober den Loki der
»Edda« eben so sehr hinauswuchs, wie etwa Goethes
Mephisto über den des Faustbuches, nimmt sagenecht
die Zwitterstellung zwischen Göttern und Riesen ein.
Die Hort- und Burgsage vereinigt Wagner dadurch,
daß der Hort nicht mehr als Mordbuße gezahlt wird,
vielmehr als Entschädigung statt Freia, deren blühende
Gestalt den Blicken der Riesen durch den gehäuften
Hort verdeckt werden soll. So vereinigen sich beide
Sagen zu einer einzigen, die zugleich den Ideengang
veranschaulicht: Liebe giebt Wotan aus Herrsch-
sucht daran, Liebe kauft Wolan um verfluchtes
Gold zurück. Wohl kehrt Freia in den Kreis der
Götter zurück; aber der Fluch der bösen Thaten wirkt
fort, das Gold ist in die Welt gekommen. Da entspringt
in Wotans bangender Seele ein neuer Gedanke:
Walhall grüßt er mit dem Schwert, Heldentum
gegen Goldesmacht! Der freie furchtlose Held soll
wirken, was dem Gotte verwehrt ist, den Liebesfluch
lösen. So mündet das Vorspiel »Rheingold« in's
Wälsungendrama Wotan weist sein Erbe an die
Helden. Von solchem Gedankengang wußten Wagners
Vorlagen nur Einzelnes, nichts Einheitliches und Zu-
sammenhängendes. Hier also treten die Sagen unter
ganz neue Ideen.
\ Neu im »Rheingold« kam Er da hinzu. Diese
neugeschaffene Gestalt ist einerseits die in der »Edda«
genannte Jord, die Erdgöttin, andererseits die Seherin
der Wöluspa, die in einem großartigen Eddalied Odin
der Götter Ende weissagt. An wirkungsvollster Stelle
wußte Wagner diese Gestalt einzufügen. Neu sind
femer die Rheintöchter. Ihr Ursprung liegt im
I
— 35 —
Nibelungenlied, in den Wasserfrauen, die Hagen der
Nibelungen Not vorhersagen. Wagner übertrug die
Szene zunächst auf Siegfried (3. Aufzug »Oötter-
dämmerung«). Aber welch' ungeahnten Hintergrund
erhielt diese Szene, wenn Wagner die Wasserfrauen
zu denselben Rheintöchtem machte, denen Alberich
das Oold einst geraubt, deren ruhrende Klagen am
Schlüsse des »Rheingolds« aus traulich treuer Tiefe
heraufdringen und Siegfrieds Rheinfahrt (Vorspiel zum
1. Aufzug »Götterdämmerung*) begleiten! ^'^
Die Götter im »Rheingold«, oft nur mit wenigen
Strichen aber völlig quellentreu*) gezeichnet, schreiten
gleichsam durch mythologische Urzeugung unmittelbar
aus der Natur hen^or. Das Bayreuther Festspiel von 1896
machte diesen Vorgang durch die überaus malerische
Wirkung einfacher Grundfarben in den Gewändern und
ohne jede vordringliche Absicht unmittelbar anschau-
lich. Ein Blick in die Quellen belehrt, wie genau die
Schilderung im »Rheingold« der alten Ueberiieferung
entspricht. Wotan ist der mächtigste unter den
Göttern, alle anderen sind ihm unterthan. Wotan ist
gedacht in der Gestalt des germanischen Heerkönigs,
blühend in Schönheit und Kraft, geistgewaltig und
ratklug. Seine Faust umspannt den mächtigen Speer,
in dessen Schaft Vertragsrunen eingeschnitten sind.
Schön und schrecklich ist der einäugige Gott anzu-
schauen. Wenn er zum Kampfe ausfährt, reitet er
unter dem goldenen Adlerhelm und in goldener Brünne.
*) Für die einzelnen Götter und Geister, aus deren Art
Wagner stets das Wesentliche ungemein plastisch herausgreift,
verweise ich auf mein Handbuch der germanischen Mythologie,
Leipzig 1895.
— 36 —
Aber er kehrt auch als Oreis in grauem Oewand und
weitem blauem Mantel, mit dem Schlapphut bedeckt,
unter den Menschen ein. Die drei Wotanfigurinen in
Rheingold, Walküre und Siegfried, wie sie überaus
feinsinnig im Bayreuther Festspiel 1806 festgestellt
wurden, geben* aufs anschaulichste alle Erscheinungs-
formen des Gottes, wie die Germanen als Herrscher,
Heerffirst und einsamen Wanderer ihn sich dachten,
wieder. Donner, mit nordischem Namen Thorr, ist
eine Heldengestalt im wallenden Rotbart. Seine Waffe
ist der Hammer, der im Blitzschlag krachend nieder-
fähri Seine Hauptaufgabe ist, Riesen und Trolle
niederzuschmettern und durch die Bekämpfung der in
den Elementen verderblich wütenden Naturgewalten
den Bestand der Welt zu schützen. Genau so erscheint
er auch im Rheingold, wie er gegen die Riesen mit
erhobenem Hammer losgeht und im Gewitter den
Himmel hell fegt. Froh, Freias Bruder, waltet über
Frieden, Fruchtbarkeit und Sonnenschein. Nur wenig
tritt er im Rheingold hervor und doch durcliiaus seiner
Art gemäß, wenn er nach dem Gewitter der leuchtenden
Regenbogenbrücke über das Thal hinweg zu der im
Abendstrahl erglänzenden Burg die Bahn weist Die
germanischen Göttinnen erscheinen in drei Typen:
Fricka verkörpert die sorgende Hausfrau, Freia das
leichte, lichte, liebende Mädchen, Erda die große ernste
Lebensmutter, aus deren Schooß alles aufsprießt, zu
der alles zurücksinkt Leben und Tod sind ihr unterthan.
Darum erhebt sie aus tiefem Wissen ihre mahnende
Stimme. Fricka ist die strenge Hüterin der Ehe, Freia
entflammt die Herzen zur Liebe, Erda ist die weise
Seherin.
— 37 —
Zwischen Göttern und Naturgeistem inmitten steht
Loge, der Feuergeist. In den nordischen Sagen ist
Loge das leise Verderben, das rastlos unter den Göttern
umherschleicht. Dieses sein stille zehrendes Wirken
wird als List und Trug, als boshafter Rat dargestellt,
wodurch er die von ihm getäuschten Götter in Schaden
und Unfall fuhrt. Wagner steigert Loges Wesen, das
er einheitlich und völlig aus der Feuematur des Gottes
zu ungemeiner geistiger Bedeutung entwickelt Loge
schweift geschmeidig zwischen den andern durch,
gleich der Flamme, die den Stoff streift, den sie ver^
zehren will. Loge ist beweglich, sorglos, spöttisch,
überlegen. Er ist aber auch das böse Gewissen der
ganzen in Glanz und Pracht vor uns stehenden Götter-
welt Sein Flammenspiel wirft plötzlich grelle Lichter
auf die Umgebung; blitzartig mit starken Schlagschatten
werden die Gegenstände erhellt Aus dem unsicheren
Flackerlicht steigt auf Augenblicke eine Stichflamme
auf, zwei verborgene Seiten von Loges Wesen an-
deutend, die läuternde, so zu sagen moralische, und
die vernichtende Kraft des Feuers. So ist Loge allein
im Stande, dreimal rflhrend und mit Wärme Wotan
vor Unrecht zu warnen und ihm das Recht zu weisen.
Und sein dämonischer Vernichtungstrieb bricht ebenso
stellenweise, besonders am Schlüsse, unversehens hervor,
um sofort wieder von der Oberfläche zu verschwinden.
Loge ist die allerwichtigste Gestalt im Rheingold, über-
haupt eine der genialsten dichterischen Schöpfungen.
Dem Darsteller ist hier eine außerordentlich hohe und
dankbare Aufgabe gestellt
Von Elementargeistern begegnen neben Loges
Feuerwesen Riesen, Zwerge, Nixen. Unter den Riesen
3
— 38 —
stellt sich die Volkssage ungeschlachte, große, unbändig
wilde und starke Gesellen vor. Sie sind gutmütig und
treu und lassen sich daher leicht überlisten; aber auch
bösartige und gewaltthätige Riesen begegnen oft. Der
gute Fasolt und der böse Fafner zeigen vortrefflich
diese beiden Seiten der Riesenart. Die nordische Sage
kennt nur einen Riesenbaumeister, den Wagner nach
dem Hüter des Hortes Fafner nennt Den Namen
Fasolt fand Wagner in völlig anderem Zusammenhang
in J. Orimms Mythologie. Er führte ihn ein, um den
erwähnten Gegensatz guter und böser Riesenart zu
schildern. Auch die Zwerge sind zweideutig, bald
gutmütig und einfältig, bald tückisch und boshaft
Dasselbe Widerspiel wie bei den Riesen Fasolt und
Fafner begegnet bei den Zwergen Mime und Alberich.
Mime erscheint im Rheingold noch harmlos und täppisch.
Erst Alberichs Zwang und die Goldgier verwandeln ihn
zum hinterlistigen Schleicher und Schädling, wie er im
»Siegfried« auftritt Alberich als Nibelungenherrscher
mit der Geißel und dem Tamhelm ist dem Nibelungen-
lied entnommen, wodurch der in der Edda nur wenig
hervortretende Andwari eine scharf ausgeprägte Persön-
lichkeit erhielt Seine Verwandtschaft mit Mime hat
Wagner erfunden. Daß der Tamhelm nicht bloß un-
sichtbar, sondern auch verwandlungsfähig macht,^ist
(L\iJ,. ::r' Lachmanns Vermutung, die sich auf Sigurds und
Gunnars Gestaltentausch beim Ritt durch die Waber-
lohe gründet
Die Rheintöchter sind die Wasserminnen der
Volkssage, deren berückender Schönheit viele Männer
zu ihrem Verderben verfallen. In anmutigem Wellenspiel
tauchen sie auf und nfeder. Sie sind so beweglich
A-\ • <*\
i -v
■ V. V M* ».^^ ♦
— 3Q —
und fließend wie das Wasser, gefährlich und harmlos
zugleich. Die Elemente sind jenseits von Out und
Böse. So ist auch die Tiefe traulich und treu im
Vergleich zu den wilden und thörigen Leidenschaften
der Oötter und Menschen. Feuer und Wasser sind
Gegensätze und doch im Volksglauben auch verwandt
Gemeinsam ist beiden Elementen die Beweglichkeit
und das zwiespältige, bald freundliche, bald feindliche
Verhältnis zum Menschen, gemeinsam haben beide die
reinigende, läuternde Kraft. So fühlt sich Loge zu den
Rheintöchtern insgeheim hingezogen. Und wenn er am
Schlüsse zu den Nixen niederschaut und dann wieder
den Blick zu den Göttern erhebt, deren trugvolle Pracht
dereinst in seinen Flammen vergehen wird, da sehen
wir bereits die beiden Elemente zum geheimen Bund
vereinigt, die nach dem Glauben der Nordleute am
jüngsten Tag die Welt in Feuer und Fluten vernichten,
aber aus den Wogen auch zu neuem, besserem Dasein
erheben werden.
So erscheint uns das Rheingold im Ganzen und
Einzelnen als eine wundervolle, «auch im kleinsten Zug
anschauliche künstlerische Verklärung und Vertiefung
altgermanischer Göttersage.
Natüriich bedarf ein solches Werk auch fein-
sinnigster szenischer Darstellung, damit die vom
Dichter so unvergleichlich lebensvoll geschauten Bilder
und Vorgänge deutlich vor unsem Augen erscheinen.
Eine verständnislose Inszenirung bringt das Rheingold
von vornherein um den besten Teil seiner Wirkung.
Die großartigen, stimmungsvollen Szenenbilder
beruhen durchaus auf Wagners eigenster Erfindung.
Einen sommeriangen Tag erieben wir im Rheingold.
3*
— 40 —
Die ersten Sonnenstrahlen fallen durch den grünen
Wogenschwall zur Tiefe und wecken des Rheingolds
lichten Schein, und droben beleuchtet der hervor-
brechende Tag mit wachsendem Olanze die blinkenden
Zinnen der Burg. Mit Freia schwindet Licht und Leben.
Fahle Nebel, Wolkendämpfe verschleiern den Mittags-
himmel. Solange Wotan und Loge zu Nibelheims
nächtlicher Tiefe fahren, verdüstert sich der Himmel
immer mehr, gen Abend schwebt schwüles Oedünst
in der Luft Das bleiche Oewölk sammelt Donner zu
blitzendem Wetter, das den Himmel hell fegt. Nach
dem Gewitter zieht sich mit blendendem Leuchten der
Regenbogen übers Thal zur Burg, die jetzt endlich
wieder entwölkt und von der Abendsonne beschienen
in hellstem Olanze erstrahlt
Richard Wagner hat aus der Verschmelzung ver-
schiedener alter Sagen in der eigenartigen Form seines
deutschen Dramas eine auf die tief erregenden Gegen-
sätze von Oold und Liebe begründete tragische Hand-
lung gewonnen, in der wir die volle Deutlichkeit der
Idee und die plastische Anschaulichkeit der äußeren
Vorgänge bewundem. Selbst die größten Dichter
sind beim «Betonen und Hervorheben der Idee ins
Allegorische und Abstrakte verfallen, bei Wagner aber
steigert sich mit der Idee zugleich die Gestaltungskraft
Er ist, wie Chamberlain einmal treffend sagt, das
mächtigste plastische Genie, das je unter den deutschen
Künstlern erstand, er hat aus tiefstem Schauen einzig
wirkungsvoll gestaltet
Die Walküre.
Jus zwd Sagen fQgt sich die «WallcQrec,
aus der Sigmundsage bezw. der Vol-
I sungasaga und aus der Brtlnnhildsage.
In den nordischen Quellen besteht
Icein Zusammenhang dieser beiden
Geschichten. Die Volsungasaga eizähh von Sigurds
Ahnen. Von Odin, dem Ahnherrn des Geschlechts,
stammte König Volsung, der mit sdner Gattin, einer
Walküre, zehn Söhne, darunter Sigmund, und dne
Tochter, Signy, hatte. König Volsung Heß eine stattliche
Halle bauen; mitten drin stand ein mächtiger Baum,
dessen Zweige über das Dach hinausragten und es über-
schatteten, während der Stamm im Orund der Halle
wurzelte. Als Signy, gegen ihre Neigung, dem König
Siggeir vermählt wurde und die Gäste abends an den
Feuern umhersaßen, trat ein Mann in die Halle, der
von Aussehen allen unbekannt war. Er war groß,
alt und einäugig, von geflecktem Mantel umwallt, der
breite Hut hing ihm tief ins Antlitz. In der Hand
trug er ein blankes Schwert, das er bis ans Heft in
den Baumstamm stieß. Alle scheuten sich, ihn zu
begrüßen; er aber sprach: >Wer dies Schwert aus
dem Stamme zieht, der soll es von mir zur Gabe haben;
er wird selbst erproben, daß er nie ein besseres
Schwert führte«. Hierauf ging der Greis aus der
— 44 —
Halle und Niemand wußte, wer er war oder wohin
er ging. Die Männer standen nun auf und beeiferten
sich, das Schwert herauszuziehen, aber keinem rflckte
das Eisen von der Stelle. Zuletzt trat Sigmund hinzu
und zog das Schwert aus dem Stamm, so leicht, als
wäre es los vor ihm gelegen. Siggeir, sein Schwager,
wollte es ihm dreifach mit Oold aufwägen. Sigmund
aber sagte: »du konntest es nicht minder nehmen als
ich, wenn es dir zu tragen ziemtec. Daraus erwuchsen
bald darauf Zwietracht und Verrat unter den Ver-
wandten; König Volsung fiel in blutiger Schlacht gegen
seinen Eidam Siggeir, seine Söhne wurden umgebracht
Nur Sigmund wurde von Signy gerettet Sigmund
und Signy sannen auf flache. Sigmund hauste ver-
borgen im Walde draußen, einsam und unerkannt
Als Signy ihre beiden Söhne von Siggeir zum ge-
planten Rachewerk untüchtig erkannt hatte, da sah sie
ein, daß nur ein echtester Volsung, der von Vater-
und Mutterseite Volsungenblut hatte, als Rachehelfer
tauge. Verkleidet ging sie zu Sigmund hinaus und
empfing von ihm, der die Schwester nicht erkannte,
den starken Sinfjotle, den sie hernach zu Sigmund
hinaussandte, damit er ihn im Heldentum erziehe.
Sigmund und Sinfjotle führten lange das Leben des
friedlosen Aechters, der wie ein Wolf im wilden Walde
gehen mußte. Die Sage stellt das so dar, als wären
Sigmund und Sinfjotle eine Zeit lang in Werwölfe
verwandelt gewesen. Endlich machten sie sich zur
Rache an Siggeir auf. Sie bargen sich, günstiger Ge-
legenheit harrend, im Vorhause der Königshalle, wurden
aber ergriffen und lebendig begraben. Signy warf
ihnen das Odinschwert in die steinerne Grabkammer.
— 45 —
Damit zersägten sie die Felsen und machten sich frei.
Zur Nacht legten sie Feuer an die Königshalle und
wehrten den Leuten den Ausgang. So kam Siggeir
in den Flammen um. Signy blieb, zur Sühne ihrer
Schuld, beim Gatten, den sie nie geliebt und dessen
Untergang sie selbst herbeigeführt hatte, im brennenden
Hause und fand so den Tod.
In dieser Geschichte herrscht eine Wildheit, die
auf das höchste Alter deutet Sie stammt wo! aus
der heidnischen Urzeit der Franken. Ihre Tragik liegt
darin, dass die sittlichen Ideale der Germanen sich
furchtbar verwirren, daß höchste Treue nur durch
Untreue geübt werden kann. Uhland wies nach, daß
der Grundgedanke germanischer Heldensage die Treue
ist. Alles Gute entspringt aus Treue, alles Böse aus
Untreue. Gerade bei den Franken zeigt sich Treue
und Untreue in seltsamem Widerspiel. Diese Gegen-
sätze durchziehen Leben und Dichtung des Volkes.
Rein und schuldlos bleibt nur der, der in Gesinnung
und Tat stets an der Treue festhält, wie etwa der
gotische Dietrich; aber in Schuld verstrickt und dem
Verderben geweiht ist, wer, sei es auch aus bester
Gesinnung, zu untreuen Handlungen greift Sigmund
und Signy sind treu dem Heiligsten, der Sippe.
Ungern scheidet das Weib aus dem Band der Sippe;
in Siggeirs feindlicher Gewalt fühlt sie sich noch
immer den Volsungen verpflichtet; und die erste Pflicht
ist Blutrache. Signy entsendet zuerst ihre Söhne,
die sie von Siggeir hat, zu Sigmund, aber sie erweisen
sich zu schwach zum Rachewerk. Da keimt in Signys
Brust der Gedanke, daß der echteste Volsung^ dem
von Vater- und Mutterseite nur reines Volsungenblut
— 46 —
in den Adern fließe, auch der stärkste Held sein, daß
in ihm gleichsam der Rachegedanke lebendig werden
müsse. Die Volsungen (vgl. gotisch walis, auserwählt,
echt) heißen die Echten und Sinfjotle ist auch seiner
Art nach der echteste Sproß. Doch der Sippe Rettung
und Rache geschah durch den Bruch der unverletz-
lichen Sippenbande; denn die Oeschwisterehe gilt der
Sage als Verbrechen. Zudem brach Signy ihre Ehe
mit Siggeir. Aber noch ragt die urzeitliche Auffassung
herein, daß Bruder und Schwester die reinste Sippe
erzeugen. So bestreiten sich zwei im Grunde große
und edle, aber unversöhnliche Gedanken gegenseitig.
Die Sippe fordert den blutechten Sprößling, der allein
zur Rache fähig ist, und sie verflucht ihn, weil sein
Ursprung die Sippe schändet. Sigmund und Signy
halten ihrem Geschlecht furchtbare Treue und sie
zerstören mit untreuester Tat der Sippe Ehre und
heilige Satzungen.
In der Walküre treten Sieglinde und Siegfried für
Signy und Sinfjotle ein. Hunding übernimmt die Rolle
des Siggeir. Hunding hat seinen Namen von einem
in der Volsungasaga später genannten Feind Sigmunds.
In Hundings Hause erscheint Siegmund als Wehwalt
der Wölfing, als der friedlose, wehbelastete Wald-
gänger. Der Neidinge Schaar hat ihm Haus und Sippe
vernichtet Freudlos ist sein Leben und Unheil lastet
immer auf ihm. Auch Hunding kündet ihm Fehde.
Waffenlos fiel er in Feindes Haus. Da traf ihn der
Blick des Weibes, in heiligster Minne höchster Not
verbinden sich Schwester und Bruder, dem Waffe und
Weib bestimmt. Durch Wotans Fügung finden sich
die Geschwister; der Gott führt sie zusammen und
— 47 —
entzündet ihre Liebe, den ersten warmen Sonnenblick,
der in ihr dunkles Dasein fällt Nicht eigene bewußte
Absicht, wie in der alten Sage, sondern Schicksals-
schluß und Sehnsucht nach Liebe vereinen Siegmund
und Sieglinde. Das Gefühl des Sippebruchs kommt
ihnen nirgends zum Bewußtsein, obwol sie als Ge-
schwister sich erkennen. Nur den Ehebruch ersieht
und fürchtet Sieglinde, als sie vor Hunding ins Oebirg
fliehen. Der alte Entwurf hielt sich in diesem Punkte
an die Sage: »Im Geschlecht der Wälsungen soll der
freie Held geboren werden: eine unfruchtbar gebliebene
Ehe dieses Geschlechts befruchtete Wotan durch einen
Apfel Holdas, den er das Ehepaar geniessen ließ: ein
Zwillingspaar, Siegmund und Sieglinde (Bruder und
Schwester) entspringen der Ehe. Siegmund nimmt
ein Weib, Sieglinde vermählt sich einem Manne
(Hunding); ihre beiden Ehen bleiben aber unfruchtbar.
Um einen echten Wälsung zu erzeugen, begatten sich
nun Bruder und Schwester selbst. Hunding, Sieglindes
Gemahl, erfährt das Verbrechen, verstößt sein Weib
und überfällt Siegmund mit Streit.« In der Walküre
ist Wotan als Wälse der Vater der Zwillinge, er steht
ihnen also viel näher, als in der Volsungasaga und
im Entwurf, wo er Ahnherr des Geschlechts ist Aber
im Drama vollführen sie nur unbewußt, aus freier
Liebe, seinen Willen.
Der Streit um den Sippebruch kommt daher auch
nicht unter den dieses Frevels unbewußt handelnden
Menschen, sondern zwischen Wotan und Fricka zum
Austrag. In des Gottes Hand steht die von ihm
entsprungene Sippe; er muß ihre Helden schützen
und ihre Rache fördern. Die Wahrung und Kräftigung
— 48 --
der blutechtesten Sippe trotzt allen anderen Rück-
sichten. Wie ein wilder Gedanke aus der Urzeit ragt
Wotans Wunsch hertin, die Blutsverwandten unter
sich zur Gewinnung der reinsten Art zu verbinden.
Aber Fricka waltet der Ehe. Die Geschichte der
Menschheit lehrt, daß mit der Festigung der Ehe eine
neue sittliche Ordnung aufkam. Sippe und Ehe ge-
raten oft feindlich an einander. Man denke nur an
Kriemhild in deutscher Sage, die, um ^igfrid zu rächen,
ihr eigen Geschlecht verdirbt, während umgekehrt
Gudrun im Norden den Tod ihrer Brüder an Atli,
ihrem Gatten, rächt. Daß Fricka, der Ehe Hüterin,
Wotan den Frevel an Sippe und Ehe vorhält, hat
einen tiefen Sinn. Der Ehe eignet gleiche Heiligkeit
wie der Sippe, eine neue Weltanschauung verlangt
ihr Recht gegen die wilden zügellosen Einbrüche der
Vergangenheit Das Zwillingspaar beging schwerste
Untat an Sippe und Ehe und verfällt damit dem
Tode. Das ist freiester Liebe furchtbarstes Leid. Treu
ihrer Art handeln Siegmund und Sieglinde untreu an
allem andern. Dieselben Motive, wie in der Urquelle,
bestimmen den Gang der Ereignisse bei Wagner, nur
muß man zum vollen Verständniß Wotan-Siegmund
und Fricka-Sieglinde zusammen nehmen, in der Wal-
küre eine Handlung mit unbewußtem Verhängniß,
in der Sage aus festem Entschluß mit bewußter Schuld
und Sühne. Was Signy denkt und ausspricht, lenkt
in der Walküre das Schicksal, die Gottheit; der gött-
liche Wille wirkt in den Menschen nur als dunkler
Trieb. Und das ist wahrer, natüriicher. Viel schöner
und herrlicher dünkt uns die aufblühende Liebe, die
vor jähem Gewittersturm hinsinkt, als die erwägende,
j
~ 49 —
den Bruder täuschende und dann zur Sühne sterbende
Signy.
Für Wotan bedeutet das Gespräch mit Fricka^
wo zwei unversöhnliche Weltanschauungen, die der
zügellosen Freiheit und der gesetzlichen Gebundenheit,
schroff einander entgegentreten, noch etwas besonderes.
Am Schlüsse des Rheingolds hatte er mit großer
Gebärde ein Schwert gegen das von der Abendsonne
bestrahlte Walhall erhoben:
So grüß ich die Burg,
sicher vor Bang und Oraun!
Das freie stolze Heldentum, das zu schaffen, zu
wahren und zu stärken Wotan in diesem Augenblick
beschließt, wird mit dem Sinnbild des Schwertes der
fluchfertigen knechtenden Goldesmacht gegenüber
gestellt In der Walküre vollzieht sich der erste Teil
des tragischen Heldenspiels. Wotan hat den Wäl-
sungenstamm, das Zwillingspaar gezeugt. Im wilden
Leiden soll Siegmund zu ureigner Stärke erwachsen:
Not tut ein Held,
der, ledig göttlichen Schutzes,
sich löse von Oöttergesetz!
Ein von den Göttern selbst unabhängiger, freier
Helden Wille, der im Menschen erstehen soll, kann
allein den im Ring verkörperten Fluch lösen. Wotan
hat den Helden ins Leben gerufen und den Walküren
das Amt zugewiesen, in Streit und Sturm das Helden-
tum zu schaffen. Fricka aber bringt Wotan zum Be-
wußtsein, daß Siegmund nicht der ersehnte freie
Held ist*
wie das neidliche Schwert!«
— 50 —
Vor dieser schmerzlichen Erkenntniß bricht der
Oott in ohnmächtigem Orimm zusammen; er sieht,
daß Siegmund sein Geschöpf ist, daß er, der Oott,
einen Freien nicht wollen kann:
»Denn selbst muß der Freie sich schaffen!«
Von Odin wird in den nordischen Sagen oft
erzählt, daß er Segen und Sieg von den Helden, die
er einst damit begabte, am Ende ihrer Laufbahn wieder
zurücknahm. Der Ounstling des Oottes muß eben
doch den Waltod sterben, schon um nach Walhall
einzugehen. Von Sigmund wird erzählt, daß er sich
im Alter mit Hjordis vermählte. Ein verschmähter
Freier der Hjordis, ein Sohn König Hundings, überzog
Sigmunds Land mit Heeresmacht. Es kam zur Schlacht
Sigmund schlug breite Oassen durchs Heer der Feinde.
Da trat ihm ein einäugiger Oreis mit breitem Hut und
blauem Mantel in den Weg und schwang ihm einen
Speer entgegen. Sigmund hieb mit seinem Schwert
auf den Speer, da sprang das Schwert entzwei. Damit
war Sigmunds OlOck gewichen, er fiel mit dem größten
Teil seines Heeres. Hjordis kam Nachts aufs Walfeld,
fand dort den schwer wunden Helden und fragte, ob
er noch zu heilen sei. Sigmund sagte: »Odin will
nicht, daß ich das Schwert länger schwinge; du aber
wahre die Seh Wertstücke wohl; du trägst einen Knaben,
der wird das neugeschmiedete schwingen und manch
Heldenwerk damit vollbringen, und sein Name wird
erhaben sein, so lang die Welt steht.« Mit dem
Tagesgrauen starb Sigmund. Hjordis aber gebar bald
darauf einen Knaben von solcher Oestalt und Schöne,
daß alle einstimmig sagten, das Kind werde ein Held
— 51 —
ohne Gleichen werden. Der Knabe mit den scharfen
Augen wurde Sigurd genannt.
Im Volsungenstamm vererbt sich ein besonderes
Mal im Auge, nach dem Sigurds Enkel, Ragnars Sohn,
Sigurd Schlangenauge heißt. Seine Mutter verkündet:
»Das Kind, das ich unter meinem Herzen trage, wird
ein Knabe sein und an ihm wird man das Zeichen
finden, daß es scheint, als ob eine Schlange um sein
Auge liege.« Und es wird gesungen:
»Man sieht an keinem Knaben,
als einzig nur an Sigurd,
im Augensteine mitten
die Schlang in Ringen liegen,
drum soll vom Augenwurme
der Sohn das Beiwort haben.c
Darum sagt Hunding von Siegmund:
Wie gleicht er dem Weibe!
Der gleißende Wurm
glänzt auch ihm aus dem Auge.
Die BrQnnhildsage aber berichtet: Als Brünnhild
aus dem Zauberschlafe erwachte, erzählte sie Sigurd,
daß zwei Könige mit einander gekämpft hätten: der
eine hieß Hjalmgunnar und war ein gewaltiger Krieger,
obwohl er schon recht bejahrt war, und Odin hatte
ihm Sieg versprochen; der andre aber hieß Agnar,
den niemand schirmen und schützen wollte. Brünn-
hild fällte den Hjalmgunnar, aber Odin stach sie dafür
mit dem Schlafdom und bestimmte, daß sie niemals
wieder in der Schlacht Sieg erkämpfen, sondern sich
vermählen solle. »Ich aber erwiderte ihm, daß ich
meinerseits ein Gelübde ablege, daß ich keinem Manne
mich verloben werde, der sich fürchten könne.« Da
— 52 ^
umzog Odin die Schlafende mit einem Zaun von
Schilden und ließ außen herum Feuer auflodern und
beschied nur dem Furchtlosen, das Feuer zu durch-
dringen und den Schlafzauber zu lösen.
Auf diesen wenigen Worten der alten Sage baut
sich BrQnnhilds Verhältniß zu Siegmund und Wotan
im zweiten und dritten Aufzug der Walküre auf.
»Tod kündend
trat ich vor ihn.
Ich vernahm des Helden
heilige Not
Meinem Ohr erscholl,
mein Aug erschaute,
was tief im Busen das Herz
zu heiligem Beben mir traf.
Scheu und staunend
stand ich in Scham:
ihm nur zu dienen
könnt ich noch denken:
Sieg oder Tod
mit Siegmund zu teilen —
dies nur erkannt ich
zu kiesen als Los!
Im gewaltgen Sturm des Mitleidens ist das Wotans-
kind zum liebenden Menschenweib gewandelt, wie es
so herrlich dieTodkündung im zweiten Aufzug schildert:
sie liebt Siegmund, weil er in höchster Not veriassen
ist, weil kein Wesen ihn schirmen und schützen
wollte. Und Wotan, da sie seinem Gebot getrotzt,
straft die Maid:
»Nicht send ich dich mehr aus Walhall
nicht weis ich dir mehr
Helden zu Wal,
- 53 -
nicht führst du mehr Sieger
in meinen Sal.
Die magdliche Blume
verblüht der Maid;
ein Oatte gewinnt
ihre weibliche Ounst:
dem herrischen Manne
gehorcht sie fortan,
am Herde sitzt sie und spinnt,
aller Spottenden Ziel und Spiel.
«
Aber als Wotans Orimm sich sänftigt, als die
Tochter In höchster Angst zu ihm fleht, des eignen
Werts nicht zu vergessen:
»Nicht wertlos sei er,
der mich gewinnt
Auf dein Gebot
entbrenne ein Feuer;
den Fels umglühe
lodernde Oluth:
es leck ihre Zunge,
es fresse ihr Zahn
den Zagen, der frech es wagte,
dem freislichen Felsen zu nahn !c —
da weckt Wotan ein Feuer aus dem Gestein, daß
es den Zagen mit zehrendem Schrecken scheuche,
daß nur der furchtloseste Held die Braut sich freie.
Die tiefe Gefühlswelt, die gewaltigen Seelensturme,
die hinter den schlichten Worten der alten Quelle
liegen, hat die Walküre in wahrhaft ergreifender Weise
uns vorgeführt. Darin bewährt sich der Dichter, dass
er in die Tiefe der Seelenstimmung blickt. Rein mensch-
liche Gefühle werden hier angeregt. Das Wunderbare
liegt darin, daß die wenigen Worte, die wir als den
4
— 54 —
Keim der Walkflre betrachten müssen, andrerseits
wieder genau als das Ergebniss des ganzen Dramas
erscheinen, als hätte der Dichter nur längst Verlorenes
wieder gefunden.
Die Volsungasaga und BrOnnhildsage hat Wagner
dadurch vereinigt, daß Sigmund und Siggeir, Agnar
und Hjalmgunnar in Siegmund und Hunding ver-
schmolzen sind. Sieglinde und Siegfried treten für
Signy und Sinfjotle ein. Nun entscheidet Brünnhild
in der Fehde zwischen Siegmund und Hunding g^en
Wotans Gebot. Auf die einfachste Weise ist engste
Verbindung hergestellt, im neuen Rahmen gewinnen
beide Stoffe an Bedeutung und Vertiefung. Wie farb-
los sind für uns die Namen Hjalmgunnar und Agnar,
deren Geschichte ja auch spurios verioren ging, wie
lebendig Siegmund und Hunding!
Einen äußeren Grund, Walkuren im Kampfe über
Siegmund walten zu lassen, gaben die Worte der
Volsungasaga kurz vor dem Fall des Helden: »Manche
Speere und Pfeile flogen da durch die Luft, aber so
schützten ihn seine Schutzgöttinnen (spädfsir), daß er
nicht verwundet ward.€ Als Cklin selbst auftritt, ist
die Macht dieser Wesen gebrochen. Im ersten Lied
von Helgi, Si^[munds Sohne, heißt es, als der Held
im Kampfsturm steht, daß die Walküre Si^rnm zu
seinem Schutz hernieder kam:
Da kam vom Himmel
die Helmbewehrte,
Speere sausten,
und scfadtzte den Fürstoi.
Laut rief ^^[run,
des Luftritts kund^sr:
HeU sollst du, Fürst,
— 55 —
dich beider erfreun,
des Siegs und der Lande;
zum Schluß kommt der Streit
Die Volsungasaga giebt diese Stelle mit den
Worten: »da sahen sie eine große Schar von Schild-
mägden gleichwie in Flammen: das war Siegrun.« So
erscheint Brünnhilde im Lichtglanz über Siegmund
schwebend und ihn mit dem Schilde deckend. Ueber
einem anderen Helgi schwebt die Walküre Kara in
Schwangestalt.
Wie die Haupthandlung in großartiger Einfachheit
aus den Orundmotiven der Ueberlieferung heraus ge-
staltet ist, so ist auch die äußere Einkleidung völlig
stilgerecht. Aus der Erzählung Siegmunds im ersten
Aufzug von Reckenfahrt, Fehde und Brand, vom Wolfs-
leben des Aechters, wobei er mit seinem Vater Wälse
den bedeutungsvollen Namen einer berühmten germani-
schen Heldensippe, der Wölfinge, annimmt, spricht die
ganze Wildheit des germanischen Urwaldlebens. Zwar
haben wir in Deutschland selbst kein^ so alten Denk-
mäler, um einen Einblick in solche Zustände daraus zu
gewinnen, aber die isländischen Familiengeschichten
berichten ausführiich ähnliche Dinge, freilich aus späterer
Zeit, dem IX. und X. Jahrhundert, aber noch in vollster
Herbe ungebrochener heidnischer Gesinnung. Grimmig-
ste Fehde, Mordbrand und Tod$chlag aus Blutrache,
furchtbare Gewaltthat erfüllte jene Urzeiten.
Wotan, die Walküren, Walhall sind aufs anschau-
lichste nach den nordischen Quellen geschildert. Wotan
erscheint im goldenen Adlerhelm und in goldener
Brünne, mit dem roten Kriegsmantel angethan. Er
weist die Walküre zum Kampf, dem Wälsung Sieg
4*
— 56 —
zu kiesen. Den Walküren ist das Amt gesetzt, die
tapferen Männer zum Krieg aufzureizen, damit kühner
Kämpfer Scharen in Walhall sich sammeln. Denn
zum letzten Kampfe will der Oott wohlgerfistet sein,
um einst an der Spitze vieler Helden aus Walhall dem
Feind entgegenreiten zu können. Wenn Oewittersturm
aufbraust, wenn Wotan sein heiliges Roß reitet, dann
ist er der wilde Jäger, der Brünnhilde hetzt, dann zeigt
sich des Gottes Wesen als des Stürmers und Führers
des wilden Heeres. Der sturmumbrauste Walkürenfelsen,
an dem Wolkenzüge vorüberjagen, macht den mythi-
schen Ursprung des Sturmgottes prächtig anschaulich.
Im zweiten Aufzug ist die Todkündung- einem
norwegischen Skaldenlied um 900 nachgebildet: Odin
sandte Walküren aus, Könige zu kiesen, die nach
Walhall zur Oastung bei Odin fahren sollten. Sie
fanden Hakon, den König unter dem Kampfbanner.
Nun wird die blutige Schlacht, Odins und der Wal-
küren Wetter, geschildert. Da sassen die totwunden
Helden, denen die Fahrt nach Walhall bestimmt war,
mit schartigen Schilden und zerschossenen Brünnen.
Nicht froh gemut war die Schar. Da sprach die
Walküre auf den Oerschaft gestützt: »Nun wächst der
Götter Glück, weil die Waltenden Hakon mit einem
großen Heere zu sich heim entboten.« Der König
hörte, was die Walküren redeten, die herriichen von
Rosses Rücken. Sinnend erschienen sie, in Helmen
waren sie, Schilde hielten sie vor sich. »Warum, o
Walküre, teiltest du so die Schlacht? Wir waren doch
wert, Sieg von den Göttern zu erhalten.« »Wir walteten,
daß du das Feld behieltest, aber deine Feinde flohen.
Nun reiten wir zum grünen Heim der Götter, Odin
— 57 —
zu sagen, daß der König Hakon zu Oast kommt.«
Odin aber hieß seine Helden aufstehen und dem
tapfern König zur Begrüßung entgegen gehen. —
So tritt auch BrQnnhild mit Schild und Speer, ans Roß
gelehnt, Siegmund ernst und schön gegenüber. Zu
Watvater fuhrt sie ihn; dort empfängt ihn gefallener
Helden hehre Schaar mit hochheiligem Oruß:
Wunschmädchen
walten dort hehr:
Wotans Tochter
reicht dir traulich den Trank.
Hier haben wir die beiden Seiten des Walküren-
amtes: sie thun in Walhall Dienst, reichen den Helden
Trank und haben das Tischgerät und die Bierkrüge
in ihrer Obhut Odin sendet sie aber auch in die
Schlacht, dort wählen sie die Männer aus, die dem
Tode erliegen sollen und verleihen den Sieg. Zu der
Erscheinung der Walkuren im dritten Aufzug bieten
sich folgende Züge der Quellen: Die Walküren reiten
auf ihren Rossen durch die Luft. Meist erscheinen
sie geschart, zu drei, sechs, neun, zwölf. Mit Helm
und Schild, in fester Brünne, mit funkensprühenden
Speeren, von leuchtenden Blitzen umspielt reiten sie
im Gewölk. Die Walküren sind von leuchtender,
lichthaariger Schönheit. Daß aber die Walküren die
Erschlagenen selber nach Walhall geleiten oder auf
ihren Rossen deren Leiber hinauftragen, ist nirgends
angedeutet. Aber Grimm schreibt ungenau in der
Mythologie S. 800: »Odin entsendet die Valkyrjen,
alle im Kampf gefallnen Helden zu empfangen und in
seinen Himmel zu geleiten.« Von den Walküren-
namen ist nur Siegrune bezeugt; die übrigen hat
— 58 -
Wagner selbst eingesetzt und trefflich aus den
kriegerischen Frauennamen der Germanen ausgewählt,
insbesondere paßt der Name Waltraute vorzüglich für
eine Walküre. Schwertleite (mhd. swertleite = Schwert-
umgürtung, Wehrhaftmachung) und Roßweiße (die
Schimmelreiterin) sind frei erfundene Namen.
Das Roß Grane gehört der Ueberiieferung an,
aber steht dort in anderem Zusammenhang. Nach
der Volsungasaga stammt es von Odins Roß Sleipner.
Odin selber schenkt es dem Sigurd, damit er darauf
durch die Waberiohe reite. Wagner verwies Grane
unter die Walkürenpferde. Mit ihrer Waffenrüstung,
mit Speer und Schild, Helm, Brünne und Mantel ver-
schenkt Brünnhilde im Vorspiel zur Götterdämmerung
auch Grane an Siegfried. Auch in der Thidrekssaga
Kap. 168 schenkt Brünnhild dem Sigurd den Hengst
Grane.
Wenn auch Stoff und Einkleidung durchaus auf
der Ueberiieferung beruhen, so sind doch die einzelnen
Bühnenbilder und Vorgänge fast völlig neu erfunden.
Der Schauplatz des ersten und dritten Aufzugs, der
Saalbau um den Eschenstamm und der Gipfel des
Felsens, auf dem Brünnhild in Schlaf gesenkt wird,
sind in den Vorlagen zwar angedeutet, der des zweiten
Aufzugs hat kein Vorbild. Was im ersten Aufzug
geschieht, ist neu erfunden. Nur in Sieglindes Er-
zählung vom Greis im grauen Gewand spielt die
Volsungasaga herein.
Wotans Gespräch mit Fricka ist in der Edda bei
andrem Anlaß einigermaßen angedeutet, wenn z. B.
Odin und Frigg über ihre Günstlinge sich streiten; auch
Wodan und Frea sind in der bekannten Stammsage der
— 59 —
Langobarden uneinig; Frea setzt schlieBlich listig ihren
Willen durch ; vom Inhalt des Gesprächs steht aber gar
nichts in den Quellen. DaB Fricka ein Widdergespann
fährt, ist durch J. Orimms Mythologie S. 304 veranlaßt, wo
ungenau dem Thorr ein Widdergespann zugeschrieben
ist Thorr fährt in Wirklichkeit mit Böcken, Freyja
mit Katzen. Den Wagen selbst hat Fricka von Freyja
übernommen, die ja beide oft mit einander verwechselt
wurden und Eigenschaften an einander abgaben.
Ebensowenig hat Wotans Gespräch mit Brflnnhild und
die Wälsungenszene eine Vortage. Die Todkflndung
und der Schluß des zweiten Aufzugs sind quellen-
mäßig angedeutet; die plastische Ausführung ist
Wagners volles Eigentum. Die Walkürenszene im
dritten Aufzug, das Gespräch zwischen Sieglinde und
Brünnhilde, die ganze wundervolle Stimmung der
Wotanszene, Abschied' und Feuerzauber^ gehören dem
Drama zu eigen, davon steht nichts in den Vorlagen.
Die Verkündigung Siegfrieds ist Brünnhild zugewiesen,
in der Volsungasaga spricht sie Sigmund aus. Wagner
dachte wohl dabei ans Lied von Helgi dem Sohne
Hjorwards, wo die Walküre Swawa den bisher
stummen Helden grüßt, ihm Namen und Siegschwert
schenkt. Wie viel schöner ist die Namendeutung:
»Siegfried erfreu sich des Siegs fc
gegenüber der in Siegfrieds Tod, wo die -von den
Philologen zwar lange behauptete, aber etymologisch
und sachlich gleich falsche Auslegung
»Durch Sieg bringt Friede ein Heide
von der dritten Nom verkündet wird. Die ganze
Stimmung im dritten Aufzug, »ein furchtbarer Sturm
— 60 —
der Elemente und der Herzen, der sich allmäiig bis
zum Wunderschlaf Brflnnhilds besänftigt«, ist nur im
Drama geschaffen.
So finden wir im Ganzen und Einzelnen freieste,
eigenste dichterische Neuschöpfung, und doch sind
alle Züge der Ueberlieferung aüfs feinste verwertet.
Es ist eine Neugestaltung aus den Orundmotiven der
Sage.
Ueber den Ideengang schrieb Wagner 1851:
»denke dir die wunderbar unheilvolle Liebe Sieg-
munds und Sieglindes; Wotan in seinem tiefgeheimniB-
vollen Verhältnis zu dieser Liebe; dann in seiner Ent-
zweiung mit Fricka, in seiner wütenden Selbstbezwing-
ung, als er, der Sitte zu lieb, Siegmunds Tod verhängt;
endlich die herrliche Walküre, Brünnhilde, wie sie —
Wotans innersten Gedanken erratend — dem Gotte
trotzt und von ihm bestraft wird: denke dir dies in
meinem Sinne, mit dem ungeheui;en Reichtum von
Momenten, in ein bündiges Drama zusammen gefaßt,
so ist eine Tragödie von erschütterndster Wirkung
geschaffen, die zugleich alles das zu einem bestimmten
sinnlichen Eindrucke vorführt, was mein Publikum in
sich aufgenommen haben muß, um den »jungen Sieg-
fried« und »Siegfrieds Tod«, nach ihrer weitesten Be-
deutung, leicht zu verstehen.«
Siegfried
jrie Handlung im Si^ried ist im Gegen-
satz zur reich bewegten Walküre von
klassischer Einfachheit, voll idyllischer
Stimmung und Märchenzauber. Sie ist
dabei ganz und gar anschaulich, daß
im Bühnenbilde selbst alle Vorgänge unserem Auge sich
darstellen. Dabei ist sie wiederum völlig quellentreu,
indem alle wirksamen Züge der alten Sagen aufge-
nommen sind, nur daß sie in den Quellen oft nur
angedeutet und weit verstreut, im Si^ried aber zu
unlöslicher Einheit verknüpft und zu ungeahnter Be-
deutung gestdgert sind. Hauptquellen sind Edda-
gedichte, das Lied vom hürnen Seyfrid, Märchen; alles
ist lebendig erschaut und tief empfunden.
Der erste Aufzug zeigt Mimes Höhle, in der der
junge Held heranwächst Siegfried, vom unbändigen
Drang nach Fahrten und Thaten erfüllt, schmiedet sich
selbst sein Schwert aus den Trümmern des Wotan-
schwertes, das dereinst in Siegmunds Hand am Speer
des Gottes zersprungen war. Die Handlung gipfelt
im Schmieden des Schwertes, währenddem Mime seine
Ränke schmiedet und ein Trug^etränk braut; im
prächtigen Gegensatz stehen sich da lichtfrohes Helden-
tum und lichtscheue Hinterlist, Wälsung und Nibelung,
gegenüber. Siegfried ist der freie Held, der ganz auf
— 64 —
sich selbst steht und auch seine Waffe aus eigener
Kraft gewann. Siegmund hatte das Siegschwert ge-
funden, das eines Gottes Gunst ihm beschied; Siegfried
steht auch darin auf sich selbst. Nur sein eigner
Mut, kein Götterrat treibt ihn auf den Heldenweg.
Uhland hatte in dem Gedichte »Siegfrieds Schwert« den
der alten Ueberiieferung fremden Gedanken hinge-
worfen, daß Siegfried selbst sich sein Schwert schmiedet.
Wagner verarbeitete diesen Gedanken in den Zu-
sammenhang der Sage. Im Entwurf hieB es noch, Sieg-
fried schmiede das Schwert unter Mimes Anleitung.
Im Drama ist dem Niblung keine Mitwirkung mehr
vergönnt. Die selbstgeschaffene Waffe ist ein Sinn-
bild freiester Heldenschaft. Die Schilderung des un-
bändigen Knaben ist dem Seyfridlied entnommen:
der knab was so mutvallig,
dazu starck und auch groß.
er wolt nie keynem menschen
seyn tag sein underthon,
im stund seyn synn und mute,
das er nur züg darvon.
das eysen schlug er entzweye,
den ampoB in die erdt,
wenn man in darumb straffet,
so nam er auff keyn leer;
er schlug den knechi und meysier
und trib sie wider und für;
nun dacht der meysier offte,
wie er seyn ledig wfir.
Der Bär, den Siegfried am Bastseile hereinführt,
stammt aus der 26. Aventiure des Nibelungenlieds,
wo Siegfried einen gefangenen Bären unter die Küchen-
knechte losläßt. Manch' übermütige Rede Siegfrieds
findet sich schon im Vorspiel zu Fouqu^s Sigurd an-
— 65 —
gedeutet. Auch dort beginnt der Akt mit einem Selbst-
gespräch Reigens (d. i. Mime), das durch Sigurds
Hereinstürmen unterbrochen wird. So z. B. folgendes:
Reigen
(ein Schwert bringend).
Nimm hin! Nur wen'gen Recken wird's so gut,
mit Reigens Waffen In den Streit zu ziehn.
S i g u r d.
Laß proben denn, was Reigens Waffe kann,
hier an dem Eckstein woll'n wirs gleich versuchen.
Reigen.
Du wirst doch nicht!
S I g u r d.
Sollt Ichs an weichem Sand?
(Er haut gegen den Eckstein. Die Klinge zerspringt.)
Sieh den vermaledeiten Binsenstock!
Reigen.
Das? Binsenstock?
S I g u r d.
Ja, hälts denn besser vor?
Seht mir den Prahler, seht den trägen Werkmann!
Willst du nicht tüchtig schmieden? So thu Ichs,
und zwar auf deinen Kopf an Amboß statt,
dazu noch ist des Schwertes Trümmer gut.
Sieglindes Schicksal bei Siegfrieds Geburt und
Siegfrieds Aufnahme bei Mime ist der nordischen Thid-
rekssaga Kap. 159—64 entnommen: auch dort stirbt
Siegfrieds Mutter bei seiner Geburt im wilden Wald,
der Knabe wird von einer Hindin gesäugt und später
von Mime gefunden, aufgenommen und erzogen. Er
weiß natürlich nichts von Vater und Mutter. So heißts
auch im Seyfridlied 47:
— 66 —
Nun was der Held Seyfride
gewesen seyne Jar,
das er umb vatier und muier
nicht west als umb ein har;
er ward vi! ferr versendet
inn eynen finstem than,
darinn zoch jn ein meyster,
biß er ward zu eym man.
Aus der Volsungasaga Ist die Schwertprobe ent-
nommen: »Sigurd hieb in den Amboß und zerklob
ihn bis auf den Fuß hinab, und das Schwert barst
weder noch zersprang es. Danach trieb Mime ihn
an, den Fafner zu töten.«
Besonders schön ist in germanischer Heldensage
die Beseelung der Waffen, die dadurch eigene poetische
Persönlichkeit erhielten. Der Held nennt sein Schwert
mit Namen und spricht zu Ihm wie zu einem in Not
versuchten, trauten Freund. So taufte Siegmund den
Notung. Das Schwert, das in der Edda Gram, im
Nibelungenlied Balmung heißt, empfing im Drama einen
neuen, bedeutungsvollen und durchsichtigen Namen.
Wenn ein Schwert zersprang, so starb es. Bei Fouqu6
redet Sigurd den Gram an:
»aus kränken Trümmern neu erstandnes Licht«,
bei Simrock im Wieland erschlägt Siegfried den Mime
mit den Worten:
»darum so weih Ichs ein,
Schachern und Verrätern ein ergrimmter Feind zu sein«.
Das alles zieht Wagner in die schlagkräftigen
Worte zusammen:
»Todt lagst du «
in Trümmern dort,
jetzt leuchtest du trotzig und hehr.
— 67 —
Zeige den Schäehern
nun deinen Schein,
schlage den Falschen,
fälle den Schelm!«
Der zweite Aufzug führt uns ins tiefe Dunkel
des germanischen Urwaldes, zur Höhle des den Hort
hütenden Riesenwurms. Siegfried erschlägt den Wurm
mit dem Schwert und wird durch den OenuB des
Wurmblutes der Vogelrede kundig. Das Vöglein
weist ihn zum Niblungenhort, lehrt ihn Mimes Tücke
verstehen und sich seiner Hinteriist durch rächenden
Schwertstreich entziehen, und zeigt ihm endlich den
Weg zum feuerumlohten Berg, auf dem Brflnnhilde
schläft Siegfrieds sagenberuhmte Heldenthat, Fafners
Besi^[ung und Hortgewinn, sind der Hauptinhalt Zu
Grunde liegt das Fafneriied der Edda: Siegfried und
Mime (in der Edda Regln genannt) gingen hinaus auf
die Heide und fanden die Spur des Lindwurmes, wo-
rauf er zum Wasser zu kriechen pflegte. Da machte
Siegfried eine große Grube in diesen Weg und stellte
sich hinein; der Lindwurm, als er vom Goldlager sich
erhob, blies Gift aus, so daß es dem Siegfried oben
aufs Haupt sprühte. Als er aber Ober die Grube hin-
kroch, da stieß Siegfried ihm das Schwert ins Herz,
und Fafner schüttelte sich und schlug um sich mit
Haupt und Schwanz. Siegfried trat aus der Grube
herauf und einer erblickte den andern. Fafner sprach :
>Wer trieb dich, wie ließest du dich treiben, mir das
Leben zu nehmen; klaräugiger Gesell, du hattest einen
harten Vater, früh schon war dir gewaltiges Schicksal
beschieden.« Siegfried antwortete: »Mein Herz hat
mich getrieben, meine Arme haben's vollbracht, und
— 68 —
dieses mein scharfes Schwert; wer feig ist als Jüng-
ling, wird nimmer kühn als Mann.« Fafner sprach:
»Einen Rath geb ich dir, Siegfried, schlag ihn nicht in
den Wind: reite heim von hinnen, das klingernde Geld,
das feuerrothe Gold, die Ringe werden dein Tod sein!«
Siegfried antwortete: »Gerathen ist mir, aber ich will
reiten zum Gold auf der Heide, und du, Fafner, liege
da in Todeszfigen, bis dich die Hölle hat«. Fafner
sprach: »Mime verrieth mich, er wird auch dich ver-
rathen und unser beider Tod werden; wohl sehe ich,
Fafner muB sein Leben lassen: diesmal warst du der
stärkste!« Mime war fortgegangen, dieweil Siegfried
den Fafner erschlug, und kam jetzt zurück, als dieser
eben das Blut vom Schwerte strich. Da sprach er:
»Heil dir, Siegfried! dein ist der Sieg! Fafner ist todt!
kein kühnerer Held, sag ich, geht über die Erde.«
Da trat Mime zu Fafner, und mit seinem Schwerte
schnitt er ihm das Herz aus und trank das Blut, das
aus der Wunde floB; dann sprach er zu Siegfried:
»Ich will schlafen gehen, Siegfried, sitz mir derweil
da und halte den Spieß mit Fafners Herz ans Feuer.«
Hierauf nahm Siegfried Fafner' s Herz und briet es am
Spieß. Und als er dachte, daß es gar wäre und der
Saft herausschäumte, wollte er mit seinem Finger
prüfen, ob es genug gebraten hätte. Er verbrennte
sich aber den Finger und that ihn in den Mund, um
sich vom Brand zu kühlen. Aber sobald ihm Fafners
Herzblut auf die Zunge kam, verstand er der Vögel
Sprache und hörte, was sie auf den Aesten zwitscherten.
Ein Vogel sang: »Hier sitzt nun Siegfried blutbespritzt
und brät Fafners Herz am Feuer; wie klug thäte der
edle Held, wenn er selber das triefende äße!« Der
— 69 —
zweite Vogel sang: »Dort liegt Mime, sinnend, wie
er den arglosen Helden verderbe.« Der dritte Vogel
sang: »Hauptes kürzer sollt' er ihn machen, den grau-
harigen Schwätzer, und ihn hinunter in die Hölle
schicken; dann gehört ihm all' das Gold und der
Schatz, der unter Fafner lag.« Da hieb er dem Mime
das Haupt ab und aB Fafners Herz und trank beider
Blut. Nun hörte er wiederum singen: »Wohlauf, Sieg-
fried, hol dir das rote Gold, unköniglich ist's, lange
zu sorgen. Oben auf dem Berg, da schläft eine Schild-
Jungfrau, und drüber spielen die bäumeverzehrenden
Flammen; ehemals stach Odin einen Schlaf-Dorn in
ihres Hauptes Schleier, als sie Männer in der Schlacht
dem Tode weihen wollte. Schauen wirst du sie,
o Held, die behelmte, die zu Roß aus dem Kampfe
zieht; kein Königssohn vermag ihren Schlaf zu brechen,
außer dir: so habens die Nornen beschlossen.«
Neben dem Eddalied hat auch Fouqu^s Sigurd,
besonders beim Gespräch zwischen Siegfried und
Mime, einzelne Wendungen und Gedanken hergegeben.
Die Waldstimmung hat zuerst Simrock im Wieland
in diesen Teil der Erzählung hineingetragen:
Noch stand die Sonne niedrig,
da fuhr zum grilnen Wald
Siegfried der junge;
wie fröhlich ward er bald,
als er im lichten Scheine
' die Baume grfinen sah:
vor Freuden wollt er springen:
nicht wuBt er, wie ihm geschah.
Er begann ein Lied zu singen:
nach sangs der Widerhall.
Da schuf ein lustig Ringen
— 70 —
der gtarken Stimme Schall.
Bald freut ihn mehr zu laugchen
des Bachleins munterm Gang,
bald wie ein wonnig Rauschen
durch alle Lauber sich schwang.
Von abertausend Stimmen
der Wald erffillet war,
von BIfithen summten Immen
zu Blüthen immerdar;
bald Adlersflügelschläge,
bald kleiner Vögel Lied,
bald Reh im Laube raschelnd,
bald Wasservögel im Ried.
Wie leuchtend durch die Orüne
die Morgensonne schien,
Siegfried der kühne
sprang wie ein Thor dahin.
Er hatte nie die Wunder
der Wildniß gekannt,
bald an dem Orte stand er,
dahin ihn Mime gesandt.
Siegfried setzt sich endlich, die heißen Oh'eder
kohlend, unter die grüne Linde. Was ihm hier die
Dichtung Neues bot, hat Wagner aber erst noch eriebt,
ehe ers zum Waldweben gestaltete. In einem Oe-
burtstagsbrief an seine Mutter schrieb er 1846: »Mein
gutes Mütterchen, mag viel Wunderiiches zwischen
uns getreten sein, wie schnell verwischt sich das alles!
Wenn ich aus dem Qualm der Stadt hinaustrete in ein
schönes belaubtes Thal, mich auf das Moos strecke,
dem schlanken Wuchs der Bäume zuschaue, einem
lieben Waldvogel lausche, bis mir im traulichsten
Behagen eine gern ungetrocknete Thräne entrinnt, —
so ist es mir, wenn ich durch allen Wust von Wunder-
— 71 —
lichkeiten hindurch meine Hand nach dir ausstrecke,
um dir zuzurufen: Gott erhalte dich, du gute alte
Mutter, und nimmt er dich uns einst, so mach ers
recht mild und sanft!«
Im dritten Aufzug erschauen wir die Erweckung
der Walküre. Siegfried durchdringt den Flammenwall
hinauf zur sonnigen Höhe, er küßt die schlafende
Brünnhilde zum Leben wach. Hier liegt ein Briinn-
hildlied der Edda zu Grunde: »Siegfried sah auf einem
Berge ein helles Licht, gleich als wäre Feuer ausge-
brochen, das zum Himmel hinauf lohete; als er aber
hinzukam, stand da eine Schildburg und oben darauf
eine Fahne. Siegfried ging hinein und sah einen
Mann liegen und schlafen in völliger Rüstung. Er
nahm ihm den Helm vom Haupt, und da sah er, daß
es ein Weib war; die Brünne lag ihr aber so fest an,
als war sie angewachsen. Da schlitzte er sie auf mit
seinem Schwerte vom Haupt herab und aufwärts über
beiden Armen und zog sie ab; davon erwachte das
Weib. Nun setzte sie sich auf, erblickte den Helden
und sprach: »Was hat meine Brünne zerschnitten?
wie bin ich geweckt aus meinem Schlaf? Wer hat die
helle Rüstung mir abgezogen?« Er antwortete: »Sieg-
munds Sohn hats gethan, Siegfrieds Schwert zerschnitt
deine Brünne.« Sie sprach: »lange schlief ich, lang
war ich eingeschlafen, lang sind der Menschen Leiden.
Mit Runen hats Odin gestiftet, daß ich meine
schlummernden Augen nicht aufschlagen konnte.«
Siegfried setzte sich nieder, sie aber nahm ein Hörn
voll Met und reichte ihm den Gedächtnißtrank: »Heil
dir Tag! Heil euch. Söhne des Tags! Heil dir Nacht!
Heil dir, Tochter der Nacht! Mit milden Augen
5*
— 72 —
schauet auf uns, verleihet uns Verbundenen Sieg!
Heil euch, Götter! Heil euch, Göttinnen! Heil dir,
segenbringende Erde! Rede und Weisheit verleihet
uns beiden und heilende Hände lebelang!«
Hierauf folgt die für die Walküre bereits ausge-
hobene Stelle über Brünnhilds Schicksale vor dem
Zauberschlaf. Wodurch Siegfried BrQnnhildes Schlaf
brach, wird in der Sage nicht angegeben. Im Dom-
röschen geschiehts, wie überhaupt die Erlösung im
Märchen, durch den KuB, und so heißt es schon bei
Simrock im Wittich:
ida mußte sie erwecken mit einem Kusse Siegfried«.
Besonders schön wirkt im Drama Wotans Ab-
V schiedskuß, der die Gottheit von der Walküre nahm
und Schlaf in ihr Auge drückte, und Siegfrieds Liebes-
kuß, der die schlummernde Maid zum Leben erweckte.
Aus der kurzen Andeutung, daß Brünnhild nur
dem furchtlosen Helden gehören will, gewinnt Wagner
die Märchenstimmung für seinen Siegfried, der aus-
^ zieht, um das Fürchten zu lernen. Wenn auch die
Worte des Eddaliedes anklingen, so ist doch ihre Aus-
führung im Drama, das glanzvolle Aufschlagen der
Augen, der stumme, feieriiche Gruß an Erde, Luft
und Himmel, der Heilruf an die Sonne noch viel
größer und <edler, und die Entfaltung von Brünnhilds
Liebe aus jungfräulicher Scheu bis zum Jubelsturm
der wilden Walküre suchen wir vergeblich in der
Edda. Sonnenlicht fluthet mit entzückend heiterer
Stimmung durch den jungen Siegfried. Der schwert-
}rohe Held stürmt vorwärts und aufwärts zu Sieg und
Liebeseriösung. Im stürmisch hellen Liebesjubel endigt
- 73 ~
der dritte Aufzug. Erst im Vorspiel zur Götter-
dämmerung werfen nächtlich webende Nornen ihr
Gewebe auf dies sonnige Glück, dem düstres Todes-
los droht.
Also Schwert, Kampf mit dem Lindwurm und
Hortgewinn, Erweckung der Walküre — mit diesen
kurzen Worten ist die Handlung der drei Aufzüge und
drei Eddalieder, die ihnen zu Grunde liegen, angegeben.
Die Gestalten der Dichtung sind klar geschaut
und geschaffen. In Siegfried reift der Knabe, dessen
toller, oft derber Uebermut gegen Mime, Fafner,
ja selbst gegen den Wanderer ausbricht, dessen
träumerisches Sehnen im Waldweben sich offenbart,
zum heldenhaften Jüngling. Was ihm aus Vogelsang
und Blätterrauschen entgegentönte, das unnennbare
Liebessehnen, erfüllt sich, als er in heiliger Verzückung
vor dem Weibe steht. Zur Stimmung der Erweckung
sagt Nietzsche: »im Ring finde ich die lauterste Musik,
die ich kenne, dort wo Brünnhild von Siegfried er-
weckt wird; hier reicht der Maßstab hinauf bis zu
einer Höhe und Heiligkeit der Stimmung, daß wir an
das Glühen der Eis- und Schneegipfel in den Alpen
denken müssen: so rein, einsam, schwer zugänglich,
trieblos, von leuchtender Liebe umflossen, erhebt sich
hier die Natur; Wolken und Gewitter, ja selbst das
Erhabene, sind unter ihr«. Wagner sagt: »im Siegfried
hab ich den mir begreiflichen vollkommensten Menschen
darzustellen gesucht, dessen höchstes Bewußtsein
immer nur im gegenwärtigsten Leben und Handeln
sich kundgiebt«. Also freies, furchtloses Sich-Ausleben
der Persönlichkeit, die gegen alle gewaltsamen und
fremdartigen Eindrücke sich behauptet.
— 74 —
Brfinnhild wandelt sich aus der Walhalltochter
nach tief innerlichem Seelenkampf zum fraglos, sturmisch
liebenden Menschenweib. Hatte die fühllose Maid
vor Siegmund zum ersten Mal inniges Mitleid erlebt,
so bewährt sich jetzt vor Siegfried an ihr das volle
Liebeswunder. Liebe lohnt mit Leid. Doch das er-
fährt Brfinnhild erst in der Götterdämmerung. So
wundervoll verstand Wagner jeden Schatten aus dem
Siegfried, in dem nur Licht und Liebe aufflammen,
fem zu halten. Auch daher die eigenartige Stellung
des Siegfried gegenüber den anderen Dramen des
Rings, die noch mehr aus Weh als aus Wonnen ge-
webt sind.
Wie herriich sinnbildlich wirkt in diesem Sinne
die Lichtstimmung im dritten Aufzug: aus der Sturm-
nacht der Erdaszene, durch Mond- und Morgen-
dämmer, durch die Flammenwolken der Morgenröte
dringt der Lichtheld zur seligen Oede auf sonniger
Höh, zum heitren blauen Tageshimmel, der mit gött-
lichem Glänze über Siegfrieds und Brünnhilds Liebe
aufleuchtet.
Dem Gegenspiel der Wälsungen, den Nibelungen
Alberich und Mime, ist im Siegfried eine große und
wichtige Rolle zugewiesen. Ganz besonders tritt Mime
hervor, der seltsame Heldenerzieher mit dem be-
quemen Grundsatz:
Glauben sollst du mir,
was ich dir sage!
Seine Ränke suchen den heranwachsenden Recken
zu umstricken und zu fesseln, den Heldengeist in die
- 75 —
Fesseln einer eigensüchtigen Erziehung zu schlagen.
Doch Siegfried ringt sich frei, er bricht und sprengt
die Bande. In den Quellen ist das alles nur schwach
angedeutet. Sehr hübsch ist der bekannte Märchenzug
verwandt, daß der böse Kobold kurz vor seinem Ende
sein Verwunderungssprüchlein thut:
»Nun ward ich so alt
wie Höhl' und Wald,
und hab nicht so was gesehn!«
Wie Siegfried durch den Genuß des Wurmblutes
hellhörig wird, daß er nicht nur die Vogelsprache ver-
steht, sondern Mimes Gedanken aus seinen Worten
errat, ist neu erfunden. In der Edda offenbart ihm
der Vogelruf Mimes Trug und fordert ihn auf, den
Ränkeschmied zu tödten, was der Held auch kurzweg
thut. Im Drama mahnt das Vöglein nur, scharf auf
des Schelmen Heuchlergered zu hören. Alles weitere
thut Siegfried selbständig.
Die ganze, furchtbare Macht- und Goldgier der
Nibelungen kommt im Zwergenzank zwischen Mime
und Alberich zum Ausbruch. Weder hierfür noch für
das Gespräch zwischen Alberich und Wotan finden
sich in den Vortagen bestimmte Vorbilder. Doch wird
wohl die Erzählung des Nibelungenliedes von den
beiden Söhnen Nibelungs, die sich vor dem hohlen
Berge um den Hort streiten und Siegfried zum Schieds-
richter anrufen, Anregung zum Zwergenzank gegeben
haben. Schon im ersten Entwurf hat Wagner Alberich
und Mime als Brüder und Niblungen aufgefaßt, wovon
die Vorlagen nichts wissen. In der Edda sind Regln
— 76 —
(d. I. Mime) und Fafner Brüder und Andwarl steht
ganz abseits. Die Niblungenmächte kämpfen im ganzen
Ring gegen Götter und Helden. Wenn sie auch nicht
siegen, so bewirkt doch dieser Kampf zwischen Licht
und Finstemiß den tragischen Untergang der Wälsun-
gen. Aber im Siegfried erliegen die Niblungen ganz
und gar. Aus dieser sieghaften Orundstimmung heraus
breitet sich auch über Gestalten wie Mime und Alberich
ein gewisser Humor, d. h. sie scheinen uns Siegfried
gegenüber so ungefährlich, wie etwa Beckmessers
Gemeinheit machtlos ist gegen Hans Sachs. Im Sieg-
fried siegt wie in den Meistersingern das Licht. Wir
sehen alles mit Siegfrieds oder Wotans Auge.
Ernst und erhaben schreitet eine Gestalt durch
das Drama, der Wanderer, ein Greis im grauen Ge-
wand, mit tiefem Hut, der das eine Auge deckt, von
blauem Mantel umwallt. Wir sahen in der Walküre
Wotan am Werk, Helden zu schaffen. Aber nur im
Grunde unfreie Geschöpfe, die auf des Gottes Geheiß
streiten, waren so zu erzielen. Siegmund ward nur
stark durch Wotans Gunst, Siegfried erwuchs sich
selbst, fremd dem Gott, frei seiner Gunst. Mit dem
: Abschied von Brünnhild schied Wotan vom eignen
I Wirken und Handeln. Wagner schreibt: »Wotan ist
nach dem Abschied von Brünnhild in Wahrheit nur noch
ein abgeschiedener Geist: seiner höchsten Absicht nach
kann er nur noch gewähren lassen, es gehen lassen,
wie es geht, nirgends aber mehr bestimmt eingreifen;
deswegen ist er nun auch Wanderer geworden«.
»Zu schauen kam ich,
nicht zu schaffen:
wer wehrte mir Wandrers Fahrt?«
— 77 —
In Siegmunds Geschick hatte Wotan eingegriffen,
auf Siegfrieds Thaten schaut der Wanderer mit inniger
Teilnahme, doch ohne sie zu lenken:
»Wen ich liebe,
laß ich für sich gewähren!«
Dreimal, In jedem Aufzug einmal, tritt der Wanderer
auf, zuerst im Gespräch mit Mime, dann mit Alberich
vor Fafners Höhle, endlich mit Erda und Siegfried vor
dem Brünnhildstein. lieber den Wandrerszenen, deren
äußere Einkleidung nordischen Odinsliedem entstammt,
deren Gehalt aber Wagners volles Eigentum ist, liegt
tief ernste, teilweise groß* erhabene Stimmung. Die
Wissenswette mit Mime, wo nochmals die Haupt-
motive des Rings von den Nibelungen, Riesen, Göttern
und Wälsungen an uns vorüberziehen, ist dem Lied
von Wafthrudnir nachgeahmt, wo Odin mit einem
weisen Riesen eine solche Wette, deren Einsatz der
Kopf der Wettenden ist, eingeht und siegreich besteht.
Herzergreifend Ist die Stelle, da der Wandrer des Ge-
schlechtes denkt:
»dem Wotan schlimm sich zeigte,
' und das doch das liebste ihm lebt«.
Wörtlich klingen z. B. folgende Verse im Sieg-
fried nach:
Odin:
Heil dir, Wafthnidnir!
In die Halle kam ich
dich selber zu sehen.
Zuerst will ich wissen,
ob du weise bist
und ob alles Wissen dir eigen.
- 78 -
Wafthrudnir:
Wer ist der Mann,
der in meinem Saal
das Wort an mich wendet?
Aus kommst du nimmer
aus unsem Hallen,
so ich dich nicht den Klügern erkenne.
Odin:
Wandrer heiß ich,
die Wege ging idi
durstig zu deinem Saal.
Bin weit gewandert,
des Wirts benötigt
und deines Empfanges bedürftig.
Wafthrudnir:
Was stehst du und sprichst
an der Schwelle, Wandrer?
Nimm dir Sitz im Saale.
So wird erkannt
wer kundiger sei,
der Oast oder der graue Redner.
Zuerst fragt nun der Riese den Oast und fordert
ihn dann auf, näher zu treten.
Wafthrudnir:
Klug bist du, Oast:
geh zu den Bänken
und laB uns sitzend sprechen.
Das Haupt zur Wette hier
steh in der Halle,
Wandrer, um weise Worte.
Odin:
Viel erfuhr ich,
viel versucht ich,^
befrug der Wesen viel.
— 79 —
Nun folgen Odins Fragen, auf deren letzte der
Riese keinen Bescheid weiß und mit Schrecken er-
kennt, daß der Oott im Wandrer sich barg.
Das Gespräch mit Alberich hat in den Quellen
kein Vorbild. Die Erda-Szene beruht auf dem Wandrer-
lied der Edda, das anhebt, wie Odin der Wala den
Leichenzauber singt:
bis widerwillig
das Weib sich erhob
und Laute entströmten
den Lippen der Todten.
Die Wala spricht:
Wer ist der Mann,
mir unbekannt,
der schwere Wege
zu schreiten mich nötigt?
Mich beschneite der Schnee,
mich schlug der Regen,
mich beträufelte der Tau,
todt war ich lange.
Odin spricht:
der Wandrer bin ich,
Waltams Sohn.
Und dann fragt er, für wen in der Todtenwelt
die Stätte bereitet ist und erfährt, daß Baldr, den schlimme
ahnungsvolle Träume schreckten, fallen wird. Am Ende
erkennt die Wala, wen sie vor sich hat und ruft ihm zu :
Nicht Wandrer bist du,
wie ich wähnte zuvor,
Odin bist du,
der alte Schöpfer.
Odin:
Kein weises Weib,
noch Wahrsagerin l>ist du.
— 80 —
Man vergleiche hiermit Wotans Wecklied und
JErdas Auftauchen, »sie erscheint wie von Reif bedeckt;
Haar und Gewand werfen einen gh'tzemden Schimmer
von sich«, und die letzten Wechselreden:
du bist nicht,
was du dich wähnst!
Urmütter -Weisheit
geht zu Ende:
dein Wissen verweht
vor meinem Willen!
Aber ganz neue Gedanken hat die Szene bei
Wagner erhalten. Der Wandrer ruft die Wala aus
langem Schlafe auf, um ihr, der unweisen, deren
Weisheit keinen Rat mehr weiß, die erlösende Kunde
ins Ohr zu singen:
»Um der Oötter Ende
grämt mich die Angst nicht,
seit mein Wunsch es will!«
Wagner schreibt hierzu: »Wotan schwingt sich
bis zu der tragischen Höhe auf, seinen Untergang zu
wollen. Dies ist alles, was wir aus der Geschichte der
Menschheit zu lernen haben : das Notwendige zu wollen
und selbst zu vollbringen. Das Schöpfungswerk dieses
höchsten selbstvemichtenden Willens ist der endlich
gewonnene, furchtlose, liebende Mensch: Siegfried.«
,Dem wonnigsten Wälsung
weis' ich mein Erbe nun zu!'
,Dem ewig Jungen
weicht in Wonne der Oott!'
Ein musikalisches Motiv ohne Gleichen verkörpert
den Gedanken Wotans, sein Erbe Siegfried zu über-
— 81 —
weisen. Das Motiv wird von nun an ein Hauptthema
im Ring und bedeutet ebenso Wotans heldenhafte
Entsagung wie Si^rieds und Brünnhiids Liebe. Das
Alte vergeht, das Neue steigt mächtig auf. Nirgends
sonst im Ring ist der flutende Orchesterstrom so ent-
faltet wie in dieser einzigen Szene. Zwischen den
Weckruf und die machtvollen Gesänge Wotans hinein
klingen die geheimnißvoll dämmernden Akkorde der
Wala. Die Gegensätze starrer Ruhe und hochgehender
Bewegung in den Gesängen der Wala und des
Wandrers wirken sehr eindrucksvoll. Wie aus einer
anderen Welt, die tief unter dem wilden Erdentreiben
schlummert, bewegungslos und unerbittlich klingen
die ernsten Weisen der Wala. Wotan aber, im Be-
wußtsein des durch Entsagung gewonnenen Sieges,
singt göttlich reine Verklärung in die Weisen des
Ringes, die in dieser Szene in stolzem Glänze, befreit
von lastender Schwere, austönen.
Aber noch ein schwerer Kampf steht Wotan
bevor. Im einzigen Zusammentreffen mit Siegfried,
unmittelbar nachdem der Wandrer die Ursorge hinab
gesenkt, bäumen sich nach kurzer väterlicher Freude
an Siegfrieds Knabenflbermut Lebenswille und Götter-
stolz noch einmal empor. Er mag die Stätte nicht
kampflos aufgeben. In schnell entflammter Leiden-
schaft geht er sogar auf einen Sieg aus, der ihn nur
elend machen könnte. Noch einmal, wie in der Walküre
Walvater dem Siegmund, so hält nun der Wandrer
Siegfried den Speer entgegen. Diesmal aber zerhaut
das Schwert des freien Helden den Runenspeer des
Gottes, und Wotan entschwindet. Wie ein letzter
langer Blick ruht in der nächsten Szene das tiefrfihrende
— 82 —
Abschfedsmotiv aus der Walküre über der schlafenden
Brünnhild.
»Da brach sich sein Blick,
er gedachte Brünnhilde dein!«
Damit ist Wotan vom letzten Weltenglück gelöst
Der Wandrer kehrt heim nach Walhall, des Speeres
Splitter fest in der Faust, nimmt stumm und ernst
den Hochsitz ein und schaut auf des rollenden Schick-
sals Vollendung.
Die Begegnung Siegfrieds und Wotans vor dem
Brünnhildstein hat in den Quellen, die Odin und Sigurd
mehrmals zusammentreffen lassen, kein unmittelbares
Vorbild. Wohl aber findet sich in anderen Helden-
liedern, in dem von Skimir und Fjolswid und in vielen
Märchen und Sagen, ein Kampfgespräch zwischen
dem Hüter der verwunschenen Jungfrau und dem Er-
löser. In den erwähnten beiden Liedern, die denselben
Mythus wie Brünnhild und Domröschen behandeln,
sind Waberlohe und Wächter typisch. So ward auch
hier mit richtigem Gefühl die Sage vortrefflich ergänzt
und bereichert. Wagners eigene tiefsymbolische Er-
findung ist der zerhauene Speer, ein ergreifender Gegen-
satz zum Schluß des 2. Aufzugs der Walküre, wo das
Schwert am Speer zersprungen war.
Endlich ist das Verhältniß Wotans zu Brünnhild
von Wagner tiefer und innerlicher erfaßt als in den
Quellen. In deutschen Sagen verlautet nichts über die
Abkunft Brünnhilds, in der Edda ist sie Budlis Tochter
und Atlis Schwester, im Drama Wotans und Erdas
Kind. Erda-Wala ist aus zwei Gestalten zusammen-
gewachsen, die in den Quellen ganz getrennt sind.
Erda ist die nordische Jord, die Erdgöttin, von der
^ 83 —
aber keine Sage besteht. Wala ist jene Seherin, die
Odin wegen Baldrs Träumen um die Zukunft befragt
und der das große Lied, die Volospä, die Kunde der
Wala in den Mund gelegt ist. Wie kommt nun Wagner
zu dieser Neuerung? Er knüpft alle Walküren inniger
an Wotan, indem er sie aus Wunschtöchtern d. h.
Adoptivtöchtern, wie die nordischen Sagen berichten,
zu wirklichen Töchtern Walvaters macht. Daß Erda
Brünnhilds Mutter ward, ergab sich aus der Deutung,
die dem Mythus von der Erweckung gegeben ward.
Der Lichtgott weckt die Erde aus den Fesseln winter-
licher Todesstarre. Wie Siegfried als Ebenbild des
Sonnengottes, Froh oder Baldr, erschien, so seine
Braut als Ebenbild und Tochter der Erde. So er-
gaben sich zwanglos schöne und sinnige Beziehungen.
Den Schauplatz der Handlung hat Wagner ziem-
lich selbstständig erfunden. Von Mimes Waldhöhle,
wie sie der erste Aufzug so genau und anschaulich
schildert, steht nichts in den Quellen. Wohl aber
gaben Zwergschmiedesagen, wie sie zahlreich vor-
kommen, allgemeine Züge dazu her. Den Kampf mit
Fafner veriegt Wagner, Simrocks Vorgang und dem
Seyfridslied folgend, in den tiefen Wald. Siegfrieds
Rast unter der schattigen Linde ist ganz im Sinne
deutscher Sage. Die nordischen Quellen lassen den
Kampf auf der Heide vor sich gehen. Zum dritten
Aufzug war das Bild der Walküre zu wiederholen,
aber doch dadurch, daß die Handlung vom Fuße des
Felsenberges durch die Flammen zur sonnigen Höhe
aufsteigt, wieder ganz neu geschaut. Auf die im Ein-
zelnen so trefflich ausgeführte Schmiedeszene, zu der
der Entwurf von Wieland dem Schmied gründliche
— 84 —
Vorarbeit war, brauch ich nur hinzuweisen, um die
unvergleichliche Plastik aller szenischen Vorgänge im
Wagnerschen Drama vor Augen zu führen.
Nächst den Meistersingern ist Siegfried das sonnig-
ste, nächst dem Tristan an äußerer Handlung das ein-
fachste, mit beiden zusammen aber auch das am
meisten und tiefsten musikalische Werk. Wie ein
Idyll, ein deutsches Waldmärchen, steht der Siegfried
zwischen dem Sturm der Walküre und der erschüttern-
den Tragik der Götterdämmerung.
Götterdämmerung.
i/ie Götterdämmerung muß mit dem
Entwurf des Nibelungen myttius von
1848 und mit Siegfrieds Tod ver-
glichen werden, ehe wir auf die
Sagengrundlagen eingehen können.
Wagner schreibt: »Siegfrieds Tod war nur der erste
Versuch gewesen, einen wichtigsten Moment des
Nibelungenmythus zur dramatischen Darstellung zu
bringen; unwillküriich hatte Ich mich bemühen müssen,
in diesem Drama eine FQIIe großer Beziehungen an-
zudeuten, um den gegebenen Moment nach seinem
stärksten Inhalt begreifen zu lassen. Diese Andeutungen
konnten natürlich at)er nur in epischer Form dem
Drama eingefügt sein«. Die erzählenden Teile ver-
langten also nach selbständiger Gestaltung und sie
wurden zunächst zum jungen Siegfried, zur Walküre,
zum Raub des Rheingolds. Siegfrieds Tod und
Götterdämmerung haben denselben Umfang, dieselbe
Szenenfolge, ja großen Teils denselben Wortlaut; und
doch ist eine ungeheure Verwandlung vor sich
gegangen, Siegfrieds Tod in völlig neue Beleuchtung
gerückt. Die Ausschaltung der erzählenden Teile hat
die davon betroffenen Szenen frei gemacht, um mit
ganz neuem Inhalt erfüllt zu werden. Zugleich erfuhr
der ausgeschiedene Stoff bei seiner Verwandlung zu
selbständigen Dramen besonders in Walküre und
— 88 —
Rheingold jene tiefgreifenden Aenderungen, die wir
als selbständige Zuthaten Wagners hervorzuheben
hatten. Die von Wagner gemeinten epischen Teile
sind aber die Nornenszene, Brunnhild und die Wal-
küren, für die in der Oötterdämmcrung Waltraute
eintrat, Alberich und Hagen, Siegfrieds Erzählung
vor dem Tode, der Schluß des Dramas. Was in
diesen Stücken schön und anschaulich war, ging
nicht verloren. Die feierliche Todtenklage um Sieg-
fried mit den Wechselgesängen der Frauen und
Mannen finden wir im Parsifal bei Titurels Leichen-
feier wieder.
(Der Scheithaufen ist bereits in Brand gesteckt; das Ross ist Brunnhilde zuge-
führt: Sie fasst es beim Zaum, küsst es und raunt ihm mit leiser Stimme in's Ohr:)
Brünnhilde.
Freue dich, Qrane:
bald sind wir frei!
(Auf ihr Oeheiss tragen die Mannen Siegfrieds Leiche in feierlichem Zuge auf
den Holzstoss : Brfinnhilde folgt ihr zunächst mit dem Rosse, das sie am Zaume
geleitet; hinter der Leiche besteigt sie dann mit ihm den Scheithaufen.)
Die Frauen.
(Zur Seite stehend, während die Mannen Siegfrieds Leiche erheben und
dann im Umzüge geleiten.)
Wer ist der Held, den ihr erhebt,
wo führt ihr ihn feierlich hin?
Die Mannen.
Siegfried, den Held, erheben wir,
führen zum Feuer ihn hin.
Die Frauen.
Fiel er im Streit? Starb er im Haus?
Geht er nach Hcllja's Hof?
-- 89 —
Die Mannen.
Der ihn erschlug, besiegte ihn nicht,
nach Walhall wandert der Held.
Die Frauen.
Wer folgt ihm nach, daß nicht auf die Ferse
Walhall's Thüre ihm fällt?
Die Mannen.
Ihm folgt sein Weib in den Weihebrand,
ihm folgt sein riistiges Roß.
Die Mannen und Frauen zusammen.
(Nachdem die letzteren sich dem Zuge angeschlossen.)
Wotan! Wotan! Waltender Oott!
Wotan, weihe den Brand!
brenne Held und Braut,
brenne das treue Roß:
daß wundenheil und rein,
Allvater's freie Genossen,
Walhall froh sie begrüßen
zu ewiger Wonne vereint!
Hier sind die Strophen des sogenannten kurzen
Sigürdliedes benützt, wo Brünnhild die Todtenfeier be-
stimmt und mit Bezug auf die reiche Zurüstung sagt:
So fällt dem Fürsten
nicht auf die Ferse
die Pforte des Sals,
die ringgeschmückte,
wenn auf dem Fuße folgt
mein Leichengefolge.
Aermlich wird
unsere Fahrt nicht sein.
Die Uebereinstimmung mit den Wechselgesängen
der Gralsritter ist wörtlich, auch der Rhythmus ist
sehr ähnlich.
— 90 —
In der Oötterdätntnerung blickt Brfinnhild hinauf
zu den Wolken und raunt zu Wotan erlösende Kunde:
»Ruhe, ruhe, du Oott!«
In Siegfrieds Tod spricht sie:
»Nur Einer herrsche:
Allvater! Herrlicher du!
Freue dich des freiesten Helden!
Siegfried fuhr ich dir zu:
biet ihm minnlichen Qruß,
dem Bürgen ewiger Macht!«
Nachdem die Flammen über den Opfern zusammen-
geschlagen, »leuchtet plötzlich aus der Olut ein blendend
heller Glanz auf: auf düsterem Wolkensaume, gleich-
sam dem Dampfe des erstickten Holzfeuers, erhebt
sich der Olanz, in welchem man Brünnhild erblickt,
wie sie, behelmt und in strahlendem Waffenschmucke,
auf leuchtendem Rosse, als Walküre, Siegfried an der
Hand durch die Lüfte geleitet«. Also wie in den
nordischen Skaldenliedern möge Odin sich freuen, daß
mit Siegfrieds Erscheinen der Heldenschar in Walhall
Zuwachs wird. Aber der Ring ist ein Wotansdrama
geworden. Durch Wotans Auge erschauen wir jetzt
alle und insbesondere die letzten Vorgänge des tragi-
schen Heldenspiels. »Ein Geschlecht nach dem andern
zieht an dem Gott vorbei; immer wieder keimt eine
neue Hoffnung auf in seinem Herzen, und zwar immer
edler, immer selbstloser. Hatte er in grimmer Ver-
zweiflung bei Siegmunds Tod auf die Weltherrschaft
verzichtet, so tritt er voll Wonne vor dem aufblühenden
Siegfried freiwillig zurück. Aber je größer Wotan
wird, je geläuterter sein Herz, je erhabner sein Denken,
— 91 —
um so unerbittlicher lastet der Fluch auf ihm. Sieg-
fried selber zerhaut Wotans Speer, den Haft der Welt,
den Bürgen seiner Macht, und die erweckte Brünn-
hilde vergißt, die erlösende Weltenthat zu wirken, den
Ring von Siegfrieds Finger zu nehmen und ihn den
Rheintöchtem zurückzugeben; sie gedenkt des Vaters
und seiner Not nicht, glühende Liebe hat alle ihre
Sinne erfaßt:
»Himmlisches Wissen
stürmt mir dahin,
Jauchzen der Liebe
jagt es davon!«
Und jetzt — seiner letzten Macht, seines letzten
Hoffens beraubt —
»auf hehrem Sitze
stumm und ernst«
schaut der Oott dem unaufhaltsam dahinrasenden
Schicksal zu, welches das Hehrste und Höchste, was
seinem Gedanken entblühte — Siegfried und Brünn-
hilde — durch namenlose Leiden in grausames Ver-
derben und in den Tod hinabstürzt. Was der Oott
hier erschaut, ist jene Hauptkatastrophe, die Wagner
in seinem ersten Entwurf Siegfrieds Tod betitelt
hatte, welche er aber jetzt, da sie nunmehr die Schluß-
katastrophe der Tragödie in Wotans Herzen bedeutet,
Götterdämmerung nannte. Wotan betritt hier nicht
mehr die Bühne: die Nomen aber sagen uns von ihm,
und Waltraute erscheint als seine Botin; vor allem die
Musik, nunmehr durch die vorangehenden Dramen so
innig mit Wotans Gestalt, aus der alle Hauptthemen
hervorgehen, verwoben, die Musik hat hier eine Ge-
walt, verbunden mit einer incisiven Bestimmtheit er-
- 92 —
reicht, wie sonst in keinem Werice der Welt und läßl
uns empfinden, als erschauten wir alle diese Vorgänge
durch Wotans Auge«. So schreibt Chamberlain in
seinem Buche fiber Richard Wagner, und im »Drama
Richard Wagners« 18Q2 ist noch genauer und ein-
leuchtender der Ring als ein Wotansdrama erwiesen.
Hiervon steht nun in den Vorlagen gar nichts, so
wenig wie in Siegfrieds Tod. Wohl setzt der Oötter-
glaube der Nordgermanen den Untergang der Götter
und Walhallgenossen in einer letzten Schlacht gegen
die elementaren Mächte des Verderbens, die Riesen
und Dämonen der Hölle, den Weltbrand und das Auf-
tauchen einer neuen Welt ans Ende der Tage, wohl
denkt der Wotan der Walküre noch ebenso wie Brünn-
hilde in Siegfrieds Tod:
»daß stark zum Streit
uns fände der Feind,
hieß ich euch Helden mir schaffen« —
aber mit Siegmunds Fall und dem Abschied von
Brunnhild ist der ursprünglich und sagenmäßig äußer-
lich gedachte Kampf ein völlig innerlicher geworden.
Der letzte Kampf Wotans war der mit Siegfried, wo
der Speer in Trümmer ging. Mit Wotans Traum von
ewiger Macht hatte das Rheingold angehoben. Schon
im ersten Entwurf schrieb Wagner: »Wotan selbst
kann das Unrecht nicht tilgen, ohne ein neues Unrecht
zu begehen: nur ein, von den Göttern selbst unab-
hängiger, freier Wille, der alle Schuld auf sich selbst
zu laden und zu büßen im Stande ist, kann den
Zauber lösen, und in dem Menschen ersehen die
Götter die Fähigkeit zu solchem freien Willen. In
den Menschen suchen sie also ihre Göttlichkeit zu
— 93 -^
übertragen, um seine Kraft so hoch zu heben, daß
er, zum Bewußtsein dieser Kraft gelangend, des gött-
lichen Schutzes selbst sich entschlägt, um nach eignem
freien Willen zu thun, was sein Sinn ihm eingiebt.
In dieser hohen Bestimmung, Tilger ihrer eignen
Schuld zu sein, erziehen nun die Götter den Menschen,
und ihre Absicht würde erreicht sein, wenn sie in
dieser Menschenschöpfung sich selbst vernichteten,
nämlich in der Freiheit des menschlichen Bewußtseins
ihres unmittelbaren Einflusses sich selbst begeben
müßten«. Wenn die Mannen den todten Siegfried auf
seinem Schild durch die mondhelle Nacht dahinführen,
da wird auch Wotans Heldengedanke zu Grab ge-
tragen. Wie ein Hauch vergeht der Götter Geschlecht
nach Siegfrieds Tod. Die altgermanische Heldenwelt
ist dahin, eine neue Welt muß aufkommen, um die
Fragen neu und anders zu lösen. Wotan im Ring
erhebt sich zur Höhe einer Weltanschauung, die das
Notwendige, und sei es auch der Untergang, will.
Diese Götterdämmerung ist ein moderner Gedanke,
zu dem die nordischen Skalden des 10. Jahrhunderts
unmöglich aufsteigen konnten. Ein Vergleich mit den
Quellen lehrt also folgendes: Odin weiß sein Ende
voraus, er reitet stolz und gefaßt mit seinen Helden
aus Walhall dem sicheren Tod entgegen. Wotan will
sein Ende, er weist sein Erbe an Siegfried, und als
der furchtlos freieste Held auch dem Fluche fiel, da giebt
er sich selbst, seine Träume, Walhall den vernichtenden
und läuternden Flammen Preis. Den Weltbrand wandelt
Wagner zum Brand von Walhall, worin altgermanischer
Götter- und Heldenglaube sich verkörpert hatte. Den
Ausblick auf eine andere Welt eröffnet im letzten
— 94 —
Motiv die Musik. Was die nordischen Gedichte in
breiter Ausführung darbieten, ist also nur zart ange-
deutet. Von der großen Schlacht, die in der Edda
dem Weltbrand vorangeht, konnte Wagner natürlich
nichts mehr übernehmen, sobald Wotan dem eignen
Wirken entsagt hatte. Femer ist Wagner darin ganz
selbständig, daß er den Untergang der Götter mit dem
Tode Siegfrieds unmittelbar verknüpft. Siegfrieds Tod
ist damit überpersönlich, symbolisch geworden, der
letzte Akt einer ungeheuren Schicksalstragödie.
Eine Anregung hierzu mag die von Lachmann be-
hauptete Herkunft Siegfrieds aus Baldr gegeben haben.
Baldrs Tod ist allerdings der Anfang vom Ende. Mit
seinem Fall wendet sich nach nordischer Mythologie
das Glück der Götter und unaufhaltsam naht sich das
Verderben. So schwindet mit Siegfried in der Götter-
dämmerung das Licht, und die Nacht dämmert heran.
Daß Wagner Siegfried in diesem mythischen Lichte
sah, beweisen seine Worte (Schriften 2, 171 ff.): »die
fränkische Stammsage zeigt uns in ihrer fernsten Er-
kennbarkeit den individualisirten Licht- oder Sonnen-
gott, wie er das Ungethüm der chaotischen Urnacht
besiegt und eriegt: dies ist die ursprüngliche Be-
deutung von Siegfrieds Drachenkampf, einem Kampfe,
wie ihn Apollon gegen den Drachen Python stritt.
Als das Licht die Finstemiß besiegte, als Siegfried den
Nibelungendrachen erschlug, gewann er als gute Beute
auch den vom Drachen bewachten Nibelungenhort: die
Erde mit all ihrer Herriichkeit selbst, die wir beim An-
bruch des Tages, beim frohen Leuchten der Sonne als
unser Eigenthum erkennen und genießen, nachdem die
Nacht verjagt, die ihre düstem Drachenflügel über die
— 95 —
reichen Schätze der Welt gespenstig grauenhaft aus-
gebreitet hielt. Der Besitz des Hortes ist aber auch
der Orund seines Todes: denn ihn wieder zu ge-
winnen strebt der Erbe des Drachen, — dieser er-
legt ihn tfickisch, wie die Nacht den Tag, und zieht
ihn zu sich in das finstere Reich des Todes. Wie der
Tag endlich doch der Nacht erliegt, wie der Sommer
endlich doch dem Winter wieder weichen muß, ist
auch Siegfried endlich wieder erlegt worden; der Oott
ward also Mensch, und als dahingeschiedener Mensch
erfüllt er unser Oemüt mit neuer gesteigerter Teilnahme.«
Zwei Gelehrte, die Lachmann bekämpft, Mone
(Einleitung in das Nibelungenlied 1818) und v. d. Hagen
(die Nibelungen 181Q) nahmen Sigfrid für gleichbe-
deutend mit Baidur und ebenso der Nibelunge Not
für gleichbedeutend mit Ragnarök, dem Weltbrand der
nordischen Mythologie, der Götterdämmerung. Mone
schreibt einmal: »Baldurs Ermordung war de*r Anfang
des Weltendes, daher denn in der Heldensage auf die
Ermordung Siegfrieds der Nibelungen Not folgt«. So
gab also auch hier eine wissenschaftliche Ansicht den
äußeren Anstoß, in Siegfrieds Tod den Anfang der
Götterdämmerung zu erblicken.
Hier ist noch ein Blick auf die Vorstellungen zu
werfen, die im Ring eigenartig über Wotans Welt-
herrschaft bestehen. Wir finden sie hauptsächlich im
Gespräch des Wandrers mit Mime und Alberich, in
den Reden der Nornen und Waltrautes und in Brünn-
hilds letzten Worten. Wagner ist hier sehr selbst-
ständig und hat nur wenige Züge der alten Ueber-
lieferung zu Sinnbildern seiner eignen Auffassung ver-
dichtet. Das Weltbild erscheint in dreifacher Stufe,
— 96 —
Nibelheim, Riesenheim, Walhall: Unterwelt, Erde, Ober-
welt. Wotans Faust führt einen Speer, in dessen
Schaft Vertragsrunen eingeritzt sind, dem alle Welten
gehorchen. Einst entschnitt ihn Wotan der Welt-
esche weihlichstem Aste. Die Weltesche, in deren
Schatten der Nornenquell rauscht, ist der Sage gemäß
ein Sinnbild des Weltganzen. Für einen Trunk aus
dem Weisheitsbom gab Wotan sein eines Auge. Die
etwas dunklen Beziehungen dieses Augenopfers zur
Werbung um Fricka und zum Ursprung Siegfrieds
muß ich hier, um Weitläufigkeiten zu meiden, beiseit
lassen.
Aber die Welt ward alt und herbstlich, die Blätter
fielen falb, der Weltbaum verdorrte, der Quell ver-
siegte: lauter Anzeichen des nahen Endes.
Siegfrieds Schwert zerhieb den Speer und damit
Wotans Macht. Wotan kehrte heim, Walhalls Edle
wies er zum Forst, die Weltesche zu fällen. Des
Stammes Scheite sind um den Saal geschichtet, Götter
und Helden um Wotan geschaart. Seine Raben sendet
er auf Reise um letzte Kunde. Sie bringen die Bot-
schaft von Siegfrieds Tod und Brünnhilds Ende. Und
nun lodert Walhall auf.
Quellenmäßig ist hier nur Wotans Speer, dem
aber in der Edda nicht die geringste symbolische Be-
deutung eignet, der auch nicht aus der Weltesche
geschnitten ist, ferner die Esche selbst mit dem Nornen-
quell und Odins verpfändetes Auge. Alles andre ist
neu gedichtet. Großartig scheint mir vornehmlich der
symbolische Runenspeer, der Haft der Welt, in dem
das Geschick von Wotans Machtbereich und Macht-
dauer sich verkörpert. Ein inzwischen als unecht er-
_ 97 —
kanntes Eddalied, Hrafnagaldr d. i. Rabenzauber, das
ein Isländer im 17. Jahrhundert dichtete, das aber von
Uhland für echt gehalten und sinnig gedeutet und auch
von Simrock als echt aufgenommen wurde, hat wohl
Wagner beeinflußt. Idun, das frische Orün, ist von
der Esche in nächtige Thäler gesunken. Im Laubfall
ahnen die Götter ihr Ende. So sendet Odin seinen
Raben aus und harrt sorgend seiner Ruckkehr. Hier
waltet dieselbe Stimmung, jenes herbstliche Nieder-
schauern, das im musikalischen Motiv der Götter-
dämmerung so sprechenden Ausdruck fand. Hierzu
paßt auch mehr der Nordlichtschein, der in der
Dichtung das Verhauchen und Verwehen der Götter
andeutete. Die Ausfuhrung der Partitur zeigt uns da-
gegen den Walhallbrand. Nun wird uns auch Wotan
klar: so lang er den Speer umspannte, konnte er nur
kampflich fallen, wie Odin in der Edda. Aber nach-
dem Siegfried den Speer zerhauen, war die Macht ge-
brochen. Wotan kann nur noch verlöschen, in den
Todesflammen des Leichenbrandes einer innerlich be-
reits todten, erstorbenen Welt vergehen.
Das Gespräch Brünnhilds mit den Walküren, die
an ihrem Felsen vorüber ziehen und das Schicksal der
Schwester, d. h. die hernach in der Walküre be-
handelten Vorgänge, von ihr erfragen, hat sich in zwei
herrliche dichterische Bilder verwandelt. Der Anfang
des dritten Aufzugs der Walküre ist einerseits daraus
hervorgegangen. Schon in Siegfrieds Tod waren acht
Walküren in strahlender Waffenrüstung, auf weißen
Rossen sitzend, im Glanz über schwarzem Wolken-
saum mit stürmischem Geräusch vorübergezogen und
hatten dabei auf das spätere Rittmotiv gesungen:
— 98 -
»Nach Sfiden wir ziehen, Siege zu zeugen,
kämpfenden Heeren zu kiesen das Loos,
für Helden zu fechten, Helden zu fällen,
nach Walhall zu führen erschlagene Sieger!«
Andererseits trat Waltraute für die Walküren ein,
die einzige, die neben Brfinnhilde besondere, persön-
lich ausgeprägte Zfige trägt. Ihre ergreifend schöne
Erzählung von Walhalls Not reiht das ursprüngliche
Drama von Siegfrieds Tod in den Zusammenhang des
Ringes, des Wotandramas, ein. Die Waltrautenszene
kann wundervoll gestaltet werden und ist ein Prüfstein
für eine wirklich stilgerechte Darstellung der Götter-
dämmerung. Schon die ernste Figurine mit strengen,
geschlossenen Zügen muß einen ganz bestimmten
Eindruck hervorrufen. Waltraute verkörpert den Typus
der ernsten, dem Walfeld vertrauten Schlachtmaid, auf
ihr ruht, im Gegensatz zu Brünnhild, dem leidenschaft-
lich liebenden Weib, der Zug herbster Jungfräulichkeit.
»Wie kannst du's fassen,
fühllose Maid!«
Die Walküre ist unfähig Liebe zu fühlen. So
fühllos war ja einst auch Brünnhild vor Siegmund
getreten, um im Sturm des Mitgefühls aus der Wal-
maid zum liebenden Menschenweib sich zu wandeln.
Aber Waltraute bleibt Walküre, Menschenleid bewegt
ihr Herz nicht, nur Götternot. Sie steht einzig treu
zu Wotan. Ihre eigene Vergangenheit tritt Brfinnhilde
in Waltraute entgegen. Brünnhild ist Waltrautes Denken
und Fühlen entrückt und darum weist sie die Schwester
von sich. Für Waltraute bieten die Quellen natüriich
nicht die geringste Andeutung. Und doch ist diese
— 99 —
Gestalt, abgesehen von der ihr zugewiesenen hoch-
wichtigen Rolle im Zusammenhang des Ganzen, eine
wunderbare Ergänzung zum Walkürenbild, das erst
mit Brünnhilde und Waltraute, die sich von der Schaar
ihrer Schwestern so eindrucksvoll abheben, in allen
seinen Färbungen vollständig wird.
Die Nomenszene endet in der ersten Fassung
mit den Worten:
»Schließet das Seil, wahret es wohl!
Was wir spannen, bindet die Welt«.
Die Nomen umfassen sich und entschweben
dem Felsen. Erst in der Götterdämmemng erhält die
Szene ihre düstre, ahnungsschwere Stimmung mit
dem reißenden Seil:
»Zu End' ewiges Wissen!«
Das Gespräch zwischen Alberich und Hagen war
mit sehr viel Epischem belastet, wodurch die wesent-
liche Bedeutung dieses nächtlichen Alptraumes stark
abgeschwächt ward. Siegfrieds Erzählung enthielt
noch, der Edda gemäß, die Rachefahrt, die der Held
gegen Hundings Söhne thut. Die letzten Reden Brünn-
hildes gewinnen natürlich erst in der Götterdämmemng
ihren tiefen, tragischen Sinn.
In den Teilen, die unverändert übernommen
wurden, ist die Sprache viel kraftvoller, kürzer, an-
schaulicher geworden. Man zweifelt keinen Augen-
blick, welcher Wendung der Vorzug gebührt. Diese
sprachlichen Fortschritte zeigt übrigens ebenso ein Ver-
gleich der Fassung von 1853 mit der von 1863 (vgl.
Gesammelte Schriften 6, 37 ff.; Bayreuther Blätter IQ,
— 100 -
1806 S. 205 ff.). Ja, der aufmerksame Beobachter wird
noch im Text der Partitur gar manche Verbesserungen
gegenüber der endgiltigen Gestalt der Dichtung ent-
decken (vgl. Bayreuther Blätter 1897, 20, 156 ff.).
Wir haben bisher die Entwickelung betrachtet, die
sich in der Grundidee und auch teilweise in der Ein-
kleidung ffir die Umwandlung von Siegfrieds Tod zur
Götterdämmerung ergab. Fast alles war Wagners Er-
findung. Die Quellen haben nur in dem beiden
Fassungen gemeinsamen Teile Bedeutung, da die Fort-
bildung natürlich frei und ohne erneute Berücksichti-
gung der Vorlagen sich vollzog.
Gerade da, wo die nordische und deutsche epische
Ueberlieferung am reichsten floss, wo alle neueren
Nibelungendichter ihre ergiebigste Fundgrube haben,
hat Wagner nur sehr wenig entnommen. Nur die
aligemeinsten Umrisse der Erzählung sind benützt, auf
nordischer Grundlage, aber mit Verwertung zahlreicher
deutscher Züge. Nicht allein durch diese Mischung
deutscher und nordischer Ueberlieferung, sondern
durch die völlige Neugestaltung im Ganzen und Ein-
zelnen ist Siegfrieds Tod noch mehr als die übrigen
Dramen Wagners volles Eigentum. Die Volsungasaga
berichtet in den Abschnitten, die für die Handlung der
Götterdämmerung in Betracht kommen, folgendes: von
dem Walkürenfelsen fährt Sigurd auf neue Thaten aus
und kommt zu Ojuki, einem König am Rhein. Des
Königs Söhne, Gunnar und Högni, schließen Blut-
brüderschaft mit Sigurd und er zieht mit auf ihre Heer-
fahrten. Die Königin Grimhild, ihre Mutter, will den
Helden für immer an die Gjukunge fesseln, und reicht
ihm den zauberhaften Vergessenheitstrank, nach dessen
— 101 —
Oenuss ihm die Erinnerung an seine Braut schwindet;
er heiratet nun die herriiche Tochter Ojukis, Gudrun.
Ounnar will um die Walküre Brflnnhild werben,
und Sigurd reitet mit ihm. Brünnhilds Burg ist von
Feuer umwallt und den allein will sie haben, der durch
die Flamme reitet. Ounnar spornt sein Ross, doch es
stutzt vor dem Feuer. Er bittet Sigurd, ihm den Orani
zu leihen, aber auch dieser will nicht vorwärts. Da
tauscht Sigurd mit Ounnar die Oestalt, Orani erkennt
die Sporen seines Herrn; das Schwert in der Hand
sprengt Sigurd durch die Flammen. Die Erde bebt,
das Feuer waHt zum Himmel, dann erlischt es.
In Ounnars Oestalt steht der Held, auf sein
Schwert gestützt, vor Brünnhild, die gewappnet dasitzt
Zweifelmütig schwankt sie auf ihrem Sitze wie ein
Schwan auf den Wogen. Doch er mahnt sie, daß sie
dem zu folgen gelobt, der das Feuer durchschreiten
würde. Drei Nächte bleibt er und teilt ihr Lager, aber
sein Schwert liegt zwischen beiden. Sie wechseln die
Ringe und bald wird Ounnars Hochzeit mit Brünn-
hild gefeiert.
Einst gehen Brünnhild und Oudrun zum Rhein,
ihre Haare zu waschen. Brünnhild tritt höher hinauf
am Strome, sich rühmend, daß ihr Mann der bessere
sei. Zank erhebt sich zwischen den Frauen über den
Wert der Thaten ihrer Männer. Da sagt Oudrun,
daß Sigurd es war, der durch das Feuer ritt, bei
Brünnhild weilte, und ihren Ring empfing. Sie zeigt
das Kleinod, Brünnhild aber wird todesblaß und geht
schweigend heim. Kein Schlaf befällt sie, sie sinnt
auf Unheil: Sigurds Tod verlangt sie von Ounnar,
oder sie will nicht länger mit ihm leben. Högni widerrät.
7
— 102 —
Zuletzt wird Outhorm, der Stiefbruder, der an
der Blutbrüderschaft mit Sigurd nicht teilgenommen
hatte, zum Morde gereizt. Schlange und Wolfsfleisch
wird ihm zu essen gegeben, daß er grimmig werde.
Er geht hinein zu Sigurd, morgens, als dieser im
Bette ruht; doch als Sigurd mit seinen scharfen
Augen ihn anblickt, entweicht er; so zum andern
Mal; das drittemal aber ist Sigurd eingeschlafen, da
durchsticht ihn Outhorm mit dem Schwerte. Sigurd
erwacht und wirft dem Mörder das Schwert nach,
das den Fliehenden in der Thfire so trifft, daß Haupt
und Hände vorwärts, die Ffiße aber in die Kammer
zurückfallen. Gudrun, die an Sigurd's Seite schlief,
erwacht, in seinem Blute schwimmend. Einen Seufzer
stößt sie aus, Sigurd sein Leben. Angstvoll schlägt
sie die Hände zusammen, dass die Rosse im Stall
sich regen und das Geflügel auf dem Hofe kreischt
Da lacht Brünnhiid einmal von ganzem Herzen, als
Gudrun's Schreien bis zu ihrem Bette schallt.
Brünnhiid aber will nicht länger leben, umsonst
legt Gunnar seine Hände um ihren Hals. Sie sticht
sich das Schwert ins Herz und bittet noch sterbend,
mit Sigurd auf hochragendem Scheiterhaufen verbrannt
zu werden, dem Geliebten zur Seite und das Schwert
zwischen ihnen, wie vormals.
Hier springen grosse Verschiedenheiten sofort in
die Augen. Für den ganzen zweiten Aufzug mit
seiner unvergleichlichen dramatischen Spannung und
Schlagkraft boten die Vorlagen rein nichts. Was in
der Volsungasaga und im Nibelungenlied auf mehrere
zeitlich getrennte Vorgänge sich verteilt, hat Wagner
zu einem wuchtigen Augenblick verdichtet. Den be-
— 103 —
rühmten Zank der Königinnen, der den Trug offen-
bart, hat er aus zwei Gründen fibergangen. Dazu
hätte Outrun viel mehr herausgearbeitet werden
müssen, als es die Anlage des Dramas verstattete, und
schließlich wiederholt sich ein Meister nicht: die
Zankszene spielt sich bereits im »Lohengrin« zwischen
Ortrud und Elsa ab. Nach deutscher Sage bleibt
Hagen Siegfrieds Mörder, und Siegfried wird draussen
im Walde erschlagen. Hagen ist, wie die auf nieder-
deutschen Berichten ruhende Thidrekssaga meldet, ein
Albensohn. Diesen Zug fuhrt Wagner noch kräftiger
aus, indem er ihn zu Alberichs Sohn macht Zwischen
Wotan und Alberich erhob sich der Streit, zwischen
Siegfried und Hagen wird er ausgetragen. Siegfried
der Wälsung und Hagen der Nibelung stehen sich
schon äußeriich als die größten Gegensätze wie Tag
und Nacht gegenüber. »Wie die Wfinsche und
Hoffnungen der Götter auf Siegfried beruhen, setzt
Alberich seine Hoffnung der Wiedergewinnung des
Ringes auf den von ihm erzeugten Helden Hagen.
Hagen soll Siegfrieds Verderben herbeifuhren, um
diesem in seinem Untergange den Ring abzugewinnen.«
So gewinnt die Feindschaft zwischen Hagen und
Siegfried einen tiefen Hintergrund, wovon die Sage
nichts ahnte. Die beiden sind geborene Feinde.
Hagen ist ein teuflisches Zerrbild des götterent-
sprossenen Helden.
Hagen, dessen Aussehen auch das Nibelungen-
lied 1672 als schrecklich schildert, ist ohne Liebe
erzeugt, ein Mordgeist, von dem ein Hauch der Kälte
und des Todes ausgeht. Die Thidrekssaga stellt
Gunnar und Hagen mit folgender Schilderung ein-
— 104 —
ander entgegen: »König Ounnar hatte lichtes Haar,
ein breites Anth'tz, einen lichten und hellen Bart, war
breitschultrig, hell von Farbe und hehr von ganzem
Wüchse, adlig von Aussehen. Hagen, sein Bruder
hatte schwarzes und langes Haar, ein langes Gesicht,
eine lange und starke Nase, lange Brauen, einen
dunkein Bart und war überhaupt dunkelfarbig; er
hatte ein hartes und grimmiges Antlitz.«
Wenn die Mannen einmal im Scherz auf Hagens
Namen singen:
»der Hagedom
sticht nun nicht mehr« —
SO denkt Wagner dabei an das Lied von Waltharius,
wo Hagen der Domige (spinosus) genannt wird. (vgl.
auch die Stelle: o palüire, virens folüs, ut pungere
possis = o Hagedom, voll grüner Blätter, wie stichst du!).
Zwischen dem Liebesjubel im Siegfried und dem
lichten Tagesglanz, von dem umleuchtet Siegfried und
Brünnhild in der Oötterdämmemng noch einmal vor
uns treten, wirkt das nächtige Nomen weben, das den
düsteren Orundton des letzten Dramas angibt, höchst
eigenartig. Wie ein Nachtschatten fällt dunkle Schick-
salsahnung auf helles Oiück.
Wie die Nomen mit goldenem Seil weben und
spinnen, wird im ersten Helgiiied geschildert. Nach
Helgis Geburt kommen zur Nacht Nomen, die sein
Schicksal bestimmten. Sie schnürten scharf die
Schicksalsfäden, goldene Fäden fügten sie weit, sie
mitten festigend unterm Mondessai. Westlich und
östlich bargen sie die Enden, einen Faden warf nord-
wärts eine Norn, ewig zu halten hieß sie dies Band.
105
Aber ebenso neu wie Wotans zerspellter Speer ist
das zerrissene Nomenseii im Drama, zwei gewaltige
Vorzeichen des unaufhaltsamen Endes.
Im Morgendämmer entschwinden die grauen
Weiber unsrem Bh'ck, vom letzten strahlenden Sonnen-
aufgang gescheucht. Aeußeren Anstoß zur Nornen-
szene gab Fouqu6, bei dem die drei Nomen vor der
Felsenburg Brunnhilds, ehe Sigurd die Schlafende
weckt, und am Ende des Dramas ober dem Rauch
des Holzstoßes erscheinen und ziemlich nichtssagende
Lieder singen. Siegfrieds Abschied von Brfinnhild,
seine Rheinfahrt, die der Rheintöchter Klage um den
Raub des Ooldes begleitet, sind eigene Zusätze
Wagners.
Aber Brünnhilds Worte:
»was Götter mich wiesen,
gab ich dir:
heih'ger Runen
reichen Hort«
entstammen dem Liede von der Erweckung der
Walküre, die Sigurd mit Runenlehre für alle Lebens-
lagen begabt. Die in deutschen Quellen berichtete
Unverwundbarkeit Siegfrieds verwandelt Wagner in
einen Wundsegen, mit dem Brünnhild den Geliebten
gegen jede Wehr feite. Nur am Rücken des niemals
fliehenden Recken sparte sie den Segen und dort trifft
ihn Magens Speer.
Für die Vorgänge in der Oibichungenhalle sind
die nordischen Berichte mit Einmischung deutscher
Züge benutzt. Daß Siegfried trotzig auftritt und
Günther sein Land abkämpfen will, aber sich dann
1.
— 106 —
durch ehrenvolle Aufnahme besänftigen läßt, steht in
der 3. Aventiure des Nibelungenliedes. Großartig
wirkt die Oegenuberstellung des lichten Wälsungen
und finsteren Nibelungen, wie Siegfried die Halle be-
tritt. Gleich hier grollt dumpf und ahnungsvoll der
Fluch. Die Worte:
wohl hüte mir Orane!
Du hieltest nie
von edlerer Zucht
am Zaume ein Roß! — •
sind verdichtet aus denen Sigurds bei Fouqu^:
»ist wer dabei,
der mir mein treues Roß zur Wartung abnimmt?
behandelts höflich, sonsten wird es bös,
denn edler Gattung ist's, heischt feine Zucht«
Für den Blutbund Siegfrieds und Günthers, der
nicht nach nordischem Brauch eingegangen wird, wo-
nach die beiden Freunde ihr Blut in eine Grube rinnen
lassen, dass es sich mit Erde mische, sind die An-
gaben in J. Grimms Rechtsaltertümem, Seite 1Q3, über
das symbolische Bluttrinken, in der Mischung des
Blutes mit Wein, benutzt.
Hagens Wacht ist der 30. Aventiure des Nibelungen-
liedes entnommen, wo Hagen mit Volker den Saal
der Burgunden gegen die Hunnen bewacht Die
Szene ist aber durch Wagner in völlig neuen Zu-
sammenhang gerückt Dass Siegfried Brünnhilden
den Reif abringt, stammt aus der 10. Aventiure des
Liedes, während der Schauplatz auf dem feuerum-
waberten Felsengipfel nordischer Ueberiieferung ge-
— 107 —
mäss ist, wie Sigurd in Ounnars Gestalt um Brunn-
hiid freit. Im zweiten Aufzug ist Handlung und
Schauplatz fast ganz neu erfunden, aus den Quellen
lassen sich nur wenige vereinzelte Züge nennen. Im
Nibelungenlied erbietet sich Siegfried nach dem Zank
der Frauen zum Reinigungseid im Ring der Burgunden
(Lachmann Strophe 801/3), Hagen geht zu Brunnhild
(Strophe 806/7), woran der Mordrat gegen Siegfried
unmittelbar anknüpft (Strophe 808/1 Q); nur ungern ent-
schließt sich Günther zu Siegfrieds Tod. Das Ge-
heimnis von Siegfrieds verwundbarer Stelle erfragt
Hagen von Kriemhild (Strophe 83Q/48). Dass Brunn-
hild zu Siegfrieds Tod anreizt, berichten Edda und
Volsungasaga. Das ist alles, was Wagner vorfand.
Dass Brunnhild selbst an Siegfrieds Hand den ver-
hängnisvollen Ring erkennt und nicht nur durch
Kriemhild-Gutrun davon hört, dass sie mit eigenen
Augen den Trug alsbald durchschaut, ist von mächtigster
dramatischer Wirkung und entlastet die Bühne von
dem umständlichen Ränkespiel, das die Handlung der
meisten Nibelungendramen so schleppend macht und
im musikalischen Drama ganz undenkbar wäre.
Voller Stimmungszauber waltet im dritten Aufzug,
gegen dessen dichterische Größe die besten Stellen
der alten Voriagen nur wie leise Vorahnung sich aus-
nehmen. Schon der Blick ins Wald- und Felsenthal
am Rhein mit den Nixen ist von wundersamer Schön-
heit. Im Rheingold habe ich bereits auf die Quelle,
das Nibelungenlied Stf. 1673— 168Q verwiesen und
hervorgehoben, welch tiefe Bedeutung diese Szene
im Zusammenhang des Ringes gewann. Auf der
Rheinfahrt zu Gibich's Hof war Siegfried der Nixen-
k
— 108 -
klage taub geblieben, jetzt vor dem Tode geistersichtig
geworden, erblickt er die Rheintöchter leibhaftig und
versteht ihre Worte. Den symbolischen Wurf Sieg-
frieds mit der Erdscholle entnahm Wagner J. Grimm's
Mythologie S. 609: »noch unsere Landsknechte des
16. Jahrhunderts warfen, in die Schlacht gehend, eine
Erdscholle zum Zeichen aller Lossagung vom Leben.«
DaB Siegfried auf der Waldjagd in der Nähe des
Rheins erschlagen wurde, erzählt die 16. Aventiure des
Nibelungenlieds. Man rühmt dem Verfasser des
Liedes mit Recht nach, daß er den Helden noch ein-
mal vor seinem Tode im vollen Glänze seines soig:los-
sonnigen Wesens geschildert habe, um seinen Fall
noch tragischer wirken zu lassen. Noch viel herrlicher
leuchtet Siegfrieds Qberfrohe Art im dritten Aufzug
auf im Gespräch mit den Nixen und in der Märe aus
seinen jungen Tagen. Wenn nun die Motivwelt des
»Siegfried« da noch einmal emporsteigt und in den
feieriichen Klängen der Erweckung der Walküre endigt,
mit denen der sterbende Held, von dessen Geist im
Augenblick des Todes alle Nacht gewichen, der fernen
ßrünnhild, der heiligen Braut, einen letzten Gruß ent-
bietet, wenn dann die gewaltigste Hetdenklage eriSnt,
während die Mannen den toten Siegfried über die
Höhe zu Gibichs Hof tragen, und endlich aufsteigende
Nebel den Zug verschleiern, so nehmen sich diesen
unvet^leichlich großen Bildern gegenüber die paar
Andeutungen der Vorlagen sehr dürftig aus. Herrlich
ist die Lichtstimmung: im strahlenden Sonnenaufgang
war Siegfried im Vorspiel zuerst vor uns erschienen,
in Dämmerung, Abendrot und Nacht verging er, ein
echter Sonnenheld.
— 109 —
Die Volsungasaga berichtet, daß die Kraft des
Vergessenheitstrankes allmähh'ch nachließ und Siegfried
die Erinnerung zurückkehrte. Im Nibelungenlied
(922— Q29) stößt Hagen seinen Speer Siegfried in den
Rücken; Siegfried schmettert mit dem Schilde Hagen
nieder und bricht dann zusammen. Die Spielanweisung
in der Götterdämmerung nimmt hierauf Bezug. Im
Nibelungenlied weilen die letzten Gedanken des
sterbenden Helden bei Kriemhild, in der Edda spricht
Sigurd noch liebevoll zu Gudrun. Diese weiche
Stimmung erhebt sich im Drama zum Heilgruss an
Brünnhild. Im Nibelungenlied wird der Tote auf
seinen Schild gelegt (940) und bei Nacht über den
Rhein geführt (943).
Das Nibelungenlied hebt mit dem bangen Traum
Kriemhilds an, in dem sie ihr Schicksal voraussieht.
Vor Siegfrieds Tod wiederholen sich die Träume.
Ebenso erzählt die nordische Sage. Ueberhaupt bilden
warnende Träume, die künftige Ereignisse voraus-
spiegeln, ein beliebtes, oft angewandtes Kunstmittel
im germanischen Heldengedicht. Aber fürs Drama
haben sich diese Vorahnungen mit Recht zu den
Worten Gutrun's verkürzt:
schlimme Träume
störten mir den Schlaf.
Für die letzten Vorgänge in der Oibichungenhalle,
Hagens Kampf mit Günther, Hagens Forderung nach
dem Ring, das Erscheinen der Rheintöchter, Hagens
Tod und den Walhallbrand bestehen keine Vorbilder,
höchstens der allgemeine Zug, daß Hagen im Nibelungen-
lied nach Siegfrieds Tod den Hort an sich bringt und
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im Rhein versenkt. Nach dem Nibelungenh'ed 941 soll
die Kunde verbreitet werden, daß Räuber Siegfried im
Wald erschlugen. Erst viel später (1728) im Hunnen-
land gesteht Hagen seine Schuld:
Er sprach: ,waz sol des mere? der rede ist nu genuoc.
ich binz et aber Hagene, der Slfriden sluoc,
den helt ze sinen banden. wie s£r er des engalt,
daz die vrouwe Kriembilt die scboenen Brfinbilde schalt!'
Daraus stammen Hagens Worte:
Ja denn! Ich hab' ihn erschlagen,
ich — Hagen —
schlug ihn zu todt!
Daß der tote Siegfried die Hand erhebt, als Hagen
Leichenraub begehen will, ist der Volkssage entlehnt,
wo Tote einen Ring oder dergleichen sich nicht
nehmen lassen. Das Nibelungenlied erzählt das Wunder
des Bahrgerichts, daß des toten Siegfried Wunden
wieder bluten, als Hagen herantritt.
Die Scheltrede zwischen BrQnnhild und Outrun,
und Brünnhilds letzte große Rede, sowie der Leichen-
brand mit Siegfried sind sagenecht. Die mehr ge-
messene Fassung in Siegfrieds Tod steht den Quellen
näher als die leidenschaftlichere der Götterdämmerung.
Die langen Reden, die Brünnhild in der Edda und
Volsungasaga hält, haben aber mit der Fassung im
Drama nur zwei Dinge gemein, daß Brflnnhild auf
ihre Liebe zu Siegfried zurückblickt und den gemein-
samen Leichenbrand befiehlt. Nirgends findet sich
der große Zug, wie BrQnnhild Outrun von der Bahre
des toten Helden zurückweist. Hier wirkt bereits der
Tristan, den Wagner in der Bearbeitung von Hermann
111
Kurz (1844 und 1847) kennen lernte. Dort weist die
blonde Isolde, die übers Meer zum sterbenden Tristan
geeilt war, die weiBhändige Isolde, die ihm angetraut
war, vom Bett des toten Geliebten:
THt Weißhand saß bei Ihm mit Klagen.
Da riß sich die blonde Isolde tos,
Gewaltig stand sie, hoch und groß
Wie eine Todesgöttin, dort.
Lautlos trieb sie den Schemen fort,
Den hohlen, der zu seiner Hülle
Ihr Namen, Liebe, Lebensfülle,
Ja alles, alles ihr gestohlen.
Was nichts dem Schemen war, dem hohlen!
Ihr gnügte ein stummer Wink der Hand,
Vor dem die andere nicht bestand.
Die Arme überliefs mit Graus,
Sie schlich sich still und scheu hinaus.
Sie konnte im eignen Herzen lesen,
Daß sie das Kebsweih war gewesen.
Nun trat die blonde Königin
Zu ihrem todten Freunde hin.
Sie sah ihm zärtlich ins Angesicht,
Erwies ihm fromta die letzte Pflicht
Und schloß die beiden Augen zu.
Woran ihr Trost und ihre Ruh
In lieben und leiden Jahren
So ling gelQ:en waren.
Handlung und Schauplatz im Ring schreiten von
der mythisch -heroischen Landschaft des Rheingold
zum germanischen Urwald mit den Fehden der
Walkfire und den Märchenthaten des Si^ried und
endlich zum Slammeskdnigtum der Oibichungen vor-
wärts. Eine Art Entwicklungsgeschichte aus den Ur-
zeiten bis in die historischen Anfänge der germani-
schen Stämme stellt sich uns dar, sobald die Aufgabe
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so feinffihlig erfaßt und gelöst wird, wie es im Bay-
reuther Festspiel geschah.
Wagner rühmt an Shakespeare die Kraft der An-
schaulichkeit: >Was hat der Mann gesehen!« Im
selben MaaBe ist diese Oabe des Schauens dem
deutschen Meister verliehen, vor dessen Seele jene
wunderbar klaren und scharfen Bilder germanischer
Götter- und Heldensage aufstiegen, aus denen sein
unvergleichliches Heldenschauspiel zum stolzen Bau
sich fügte
/
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NOV .^ 1959
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OCT 8 1976
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LD 2l-100m-6,'56
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Berkeley
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